Münster/Essen. Der Erfolg seiner Kommissar-Charitos Kriminalreihe hat Petros Markaris das Etikett "Mankell Griechenlands" eingebracht. Doch so leicht ist der Goethe-Übersetzer nicht zu fassen. Wir sprachen mit Markaris über Identität, Literatur und Lebenslügen.

Petros Markaris will nicht zum Griechen. Und weil in deutschen Kombüsen die Köche meist ab 22 Uhr wie vom Blitz getroffen den Kochlöffel fallen lassen, sitzen wir nach seiner Lesung beim Portugiesen. Der Exportschlager Griechenlands in Sachen anspruchsvolle Kriminalliteratur hat seine Lesereise in Deutschland fast abgeschlossen. Und jetzt hat er Hunger. Auch auf die Neugier seiner Leser, die er beharrlich zum Fragenstellen animiert. "Fragen Sie ruhig, auch Privates", sagt Markaris stets zu seiner treuen Fangemeinde. Ebenso ausdauernd, ja geduldig gibt er Antworten.

Arbeiten, das bedeutet für ihn stets einsame Stunden vor dem Computerbildschirm. Unter seinen Lesern fühlt sich Markaris aber in bester Gesellschaft. Vor allem die deutschen Leser lieben die Geschichten um und mit dem schrulligen, seltsam sympathischen Kommissar Kostas Charitos. Sein Erfinder kostet die Anerkennung aus. "Mit dem Erfolg ist es wie mit der Liebe", sagt Markaris. Beides könne man nicht erklären. Genießen hingegen schon.

Istanbul, die erotische Stadt

Mit seinem ersten Kriminalroman
Mit seinem ersten Kriminalroman "Hellas Channel", erschienen bei Diogenes, wurde Petros Markaris auch in Deutschland bekannt. (c) Diogenes © Diogenes

Nach zwei Stunden lesen und reden ist es aber auch gut. Petros Markaris hat wirklich Hunger. Er bestellt sich eine große Paella-Pfanne, mit Fleisch. Und ein Bier. In einem einwandfreien Deutsch, das lediglich eine leise Note Wienerisch durchklingen lässt. Dann geht es ans Eingemachte. Es fallen unappetitliche Worte, wie Fremdenhass, Ausbeutung und Nationalismus. Markaris nimmt keine Serviette vor den Mund, wenn es darum geht, soziale und politische Missstände in seiner Heimat anzuprangern. "Der Kriminalroman ist der Sozialroman unserer Gegenwart", davon ist Petros Markaris überzeugt.

Beim Wort Heimat stutzt der 70-jährige Erfolgsautor. "Was soll das sein, Heimat?", fragt er. Dann nimmt er die Finger zu Hilfe, um die Markaris-Identitäts-Trinität zu erläutern. Sein linker Zeigefinger drückt gegen den Daumen. Das ist erstens: "Heimat als Geburtsort ist für mich Istanbul. Eine spannende, eine erotische Stadt", schwärmt Markaris von der Metropole am Bosporus. Dann presst der linke Zeigefinger auf sein gegenüber auf der Rechten. Also zweitens: "Heimat als Kultur ist für mich die deutschsprachige Kultur."

Markaris kam nach Pogromen gegen die christliche Bevölkerung in Istanbul mit neun Jahren nach Wien, wuchs dort mit deutschsprachiger Literatur auf, übersetzte später Bernhard, Brecht, zuletzt Goethe. "Nur Theaterstücke, ich habe nie Prosa übersetzt", unterstreicht Markaris. Und fügt hinzu: "Ich war theaterkrank." So stark infiziert vom Theater-Virus, dass er in Griechenland bald auch mit seinen eigenen Bühnenstücken große Erfolge feierte.

In Athen noch immer ein Fremder

Die literarischen Werke von Markaris wurden bislang in zwölf Sprachen übersetzt. Seine Kriminalromane sind allesamt beim renommierten Diogenes Verlag erschienen. Auch der herausragende Erzählband "Balkan Blues". Der jüngst erschienene vierte Fall für den Kommissar mit den steinzeitlichen Ermittlungsmethoden heißt "Der Großaktionär". Eine Kriminalgeschichte, die sich an zwei Handlungssträngen entlang entwickelt. Da ist einmal vor Kreta die Schiffs-Entführung durch griechische Nationalisten, die gegen die Nato-Truppen auf dem Balkan protestieren wollen. Passagier auf dem Kreuzfahrtschiff ist auch die Tochter des Kommissars. Gleichzeitig wird Charitos in Athen gebraucht, wo Menschen aus der Werbebranche im Namen einer gerechteren Welt umgebracht werden. Ob und wie das zusammenhängt, soll an dieser Stelle nicht verraten werden.

Außerdem sind wir bei der dritten Identität angelangt, der griechischen. Heimat als Sprache ist für Petros Markaris Griechenland. Das Land, in dessen Hauptstadt er erst als 28-Jähriger einwanderte und in der er sich bis heute wie ein Fremder fühlt. Das macht ihn zum Exoten, zum Unangepassten, ja manchmal wird er am Fuße der Akropolis als der ewige Nörgler beschrieben. Er wiederum kritisiert den naiven, fast fahrlässigen Umgang seiner Landsleute mit dem Nationalismus, der, laut Markaris, auf dem Balkan seine Renaissance erlebt. In Hellas macht er zudem eine unheilige Allianz zwischen Nationalisten und Kirche aus, die er für "vollkommen unzeitgemäß" hält.

Die Lebenslügender Landsleute

Ganz en passant verarbeitet er in seinem klug orchestrierten Krimi zudem einen bislang unbekannten Aspekt der griechischen Geschichte, der noch hohe Wellen schlagen wird. Es geht um die Beteiligung griechischer Faschisten und Nazi-Kollaborateure bei Massakern der Wehrmacht an der griechischen Zivilbevölkerung während des Zweiten Weltkrieges. "Griechen tun Griechen so etwas doch nicht an", verzweifelt die Sekretärin im Buch an den Lebenslügen ihrer Landsleute. Hier nimmt Markaris die Rolle des Desillusionierers ein. "Wenn der Kopf eines Fisches stinkt, kann sein Schwanz nicht nach Meer riechen", das gefällt dem Schriftsteller, da ist er sich einig mit seinem Kommissar Charitos, über den er wie über einen guten Freund spricht. Und lachend sagt Petros Markaris: "Der Satz hätte von mir sein können." Vielleicht wollte er deshalb seine Paella lieber mit Fleisch und nicht mit Fisch.