Essen. . „Man wird doch wohl noch sagen dürfen“: Verbale Pöbeleien garantieren Autoren Bestsellerstatus. Jüngstes Beispiel ist Akif Pirinçcis Werk „Deutschland von Sinnen“, in dem er „den irren Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ anprangert.
Die Katzenkrimis, die dem türkischstämmigen, in Bonn lebenden Autor Akif Pirinçci zum Bestsellerstatus verhalfen, kommen auf leisen Pfoten daher; ein niedlicher Literaturspaß. Sein neues Werk aber faucht, beißt und kratzt: In „Deutschland von Sinnen“ rechnet Pirinçci ab mit dem „irren Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“. Das Buch steht kurz nach Erscheinen auf Platz eins der Amazon-Bestseller, vor Jojo Moyes, Jan Weiler, Frank Schätzing.
Worum geht es? Der heute 54-jährige Pirinçci kam mit zehn Jahren nach Deutschland. Die ersten Sätze seines Buches gleichen einer Hymne: „Deutschland, o du goldenes Elysium! Du kraftvoller Stier! Du bist die Macht, die ganz Europa trägt! ... Du bist das Paradies, und ganz gleich, wie viele Hurensöhne dich noch verraten werden, am Ende wirst du sie alle überleben!“
Die „Hurensöhne“ sind zum einen die Ausländer (zu denen Pirinçci sich nur dann zählt, wenn es um türkische Mannhaftigkeit geht) – ab nach Hause mit ihnen, „bevor sie uns die Haare vom Kopf fressen“. In rüpelhaften, am Vulgären nicht sparenden Sätzen pöbelt der bekennende „Islamhasser“ zudem gegen die Homo-Ehe als „Überhöhung einer abnormen Sexualität“, als „schlechten Witz“; lustigerweise hält er aber die Bee Gees für „kleine Genies“
Am Ende der verschwurbelten Tiraden ruft Pirinçci, der von seiner eigenen Frau verlassen wurde (darüber gibt es ein ganzes Kapitel), der „deutschen Frau“ zu: „Deine vornehmste Aufgabe ist es, mit einem liebenden Mann eine Familie zu gründen und Kinder zu gebären“, denn „Selbstverwirklichung funktioniert beim Weibe nun mal nicht“.
Kurz: Hier fährt einer so richtig die Krallen aus gegen „Toleranzbesoffenheit“ und „Volksverarsche“.
Gegen Halbwesen und Homo-Ehe
Das könnte man getrost ignorieren, wäre es ein peinlicher Einzelfall. Die öffentliche Rüpelei aber hat Konjunktur unter den Dichtern und Denkern, als säßen sie gemeinsam am Stammtisch. „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“: Zuletzt hat man diesen Satz von der Büchner-Preisträgerin Sybille Lewitscharoff gehört, die durch künstliche Befruchtung gezeugte Kinder „Halbwesen“ schimpfte und sich gegen die „Selbstermächtigung der Frau“ wandte, vor allem: der lesbischen.
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Da sei ihr als „Würzmittel“ ihrer Rede eben ein „scharfer Satz“ untergekommen, fauchte sie im FAZ-Interview – sie wäre nicht dafür, „dass man Gedanken, die überall aufkeimen, ständig unterdrückt“.
Immer raus damit, das denkt sich mit schöner Regelmäßigkeit auch Thilo Sarrazin. Im jüngsten Werk „Der neue Tugendterror“ macht er neben Ausländern und Homosexuellen die Medien als wahren Feind aus, sieht sich als Opfer eines Meinungsdiktats.
Tabubruch läuft immer
Dabei ist es mitnichten so, dass man nichts mehr sagen darf. Man darf heute offen überlegen, ob es einem Kind gut geht, das bei zwei Müttern oder zwei Vätern aufwächst (Studien zufolge: ja).
Man darf die Frage stellen, wie lange jemand hier zur Schule gegangen sein muss, bevor er den deutschen Pass bekommt (sechs Jahre). Man darf nur nicht Gruppen von Menschen pauschal verunglimpfen. Ist das schon Tugendterror?
Viele Autoren nutzen doch ihrerseits sehr geschickt die Marktmechanismen: Tabubruch läuft immer. Mit Brachialrhetorik fällt man auf im steten Dialograusch der Demokratie. Früher war der Rebell links, aber da sitzt jetzt der Mainstream. Deshalb kommen Revolutionäre heute notgedrungen reaktionär daher: Rechts außen tut’s noch weh. Und wenn es so richtig wehtut, wenn der Stammtisch-Streit zur Prügelei vor der Kneipe wird, kommen alle angelaufen.
Nicht nur Sensationsgier
Die zahlreichen Leser aber bewegt mehr als Sensationsgier. Denn zugleich trägt hier die Gesellschaft über Frauen, Schwule und Ausländer ihre Identitätsdebatten aus – vor lauter Minderheiten weiß die Mehrheit ja gar nicht mehr, wer sie ist! Darin spiegelt sich, und das muss man ernst nehmen, Angst und Sehnsucht – Angst vor dem Neuen, Sehnsucht nach dem Alten.
Nach einer Welt, die im wahrsten Sinne noch in Ordnung war: ordentlich und übersichtlich, beständig und zuverlässig. Eine Welt wie aus dem Manufactum-Katalog, bei dessen Ableger Manuscriptum das Pirinçci-Buch erschienen ist.
Eine Welt, in der niemand die „Man wird doch wohl noch“-Katze aus dem Sack lässt: ach, das wäre aber wirklich schön.