Oberhausen. . Hingehen: Das Musical „Gottes kleiner Krieger“ am Theater Oberhausen stellt die komplexe Frage nach dem Wesen von Fanatismus und religiösem Fundamentalismus. Ein selten gewordenes Wagnis, das überzeugend aufgeht.

Ein riesiger Ring aus roten Blättern, dann erheben sich die gefalteten Hände des Buddhas. Wenn sich dann die goldenen Hände, Sinnbild für die hinduistische „Namaste“-Begrüßungsgeste, vorneigen, wird „Gottes kleiner Krieger“ für einen Moment von den Handflächen umschlossen. Eine neue Weltanschauung hat ihn im Griff, Zia Khan alias Lucens alias Teja hat sich wieder einmal freiwillig in die Gefangenschaft einer Religion begeben.

Die komplexe Frage nach dem Wesen von Fanatismus und religiösem Fundamentalismus ausgerechnet wird im seichtheitsverliebten Genre Musical eher selten gestellt. Umso überraschender, dass das Wagnis des Theaters Oberhausen, in Koproduktion mit dem Theater Freiburg den Roman des indischen Erzählers Kiran Nagarkar in knallbuntem Bollywood-Format mit viel Musik, Tanz und Aktion als Uraufführung auf die Bühne zu bringen, überzeugend aufgeht.

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Mitreißende Choreographien und Massenszenen, eine großartige Band, die virtuos zwischen Raga, Bollywood-Sound, Free Jazz und Meditationsmusik pendelt, bewegende Tableaus, stille, verrückte, tragische Momentaufnahmen, und über allem der Sirup der Emotionen …

Prächtiges Ensemble

Jarg Pataki und Viola Hasselberg (Regie und Dramaturgie) haben den 700-Seiten-Roman eindrucksvoll gestrafft. Wo die wendungsreiche Vorlage eine szenische oder dialogische Umsetzung nicht zulässt, lassen sie das prächtige Ensemble, dem bis auf Ben Daniel Jöhnk (Zia) und André Benndorf (Bruder Amanat) stets mehrere Rollen zugewiesen sind, die wichtigsten Entwicklungen referieren.

Im Zentrum des fantasievollen Geschehens, in dem Wahn, Wirklich- und Wahrscheinlichkeit durcheinander purzeln, steht ein selbstloser Idealist. Auf der qualvollen Suche nach Gottgefälligkeit, Reinheit und Sühne wechselt der Sohn weltoffener Muslime voller Überzeugung seine Existenzen wie ein Hemd und kann dabei im Hass auf Satan seinen selbstgefälligen Dogmatismus nie ablegen.

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Selten waren vier Stunden so kurz

In Bombay hatte eine Tante dem kleinen Zia vorausgesagt, er werde einst alle vom wahren Glauben Abgefallenen zum Islam zurückführen. Beim Studium in Cambridge entwickelt sich das Mathe-Genie zum Islamisten, der Salman Rushdie zu ermorden versucht; er wütet als Terrorist in Afghanistan und Kashmir, kämpft als Mönch in einem kalifornischen Trappistenkloster gegen Abtreibungskliniken, scheut vor Mordaufträgen nicht zurück, saniert Kloster und Bistum durch Börsengeschäfte.

Schließlich taucht er, von einem hinduistischen Guru rekrutiert, als Teja in die Welt des Waffenhandels ein, um seine idealistischen Pläne einer reinen, menschlichen Gesellschaft zu finanzieren. Er ist ein Mensch, der das Gute will und das Böse schafft – ein umgekehrter Mephisto, denkbar in jeder Weltreligion.

In Bollyhausen fällt der Vorhang nach knapp vier Stunden – selten waren vier Stunden so kurz.