Essen. Kent Nagano gehört zu den bekanntesten Dirigenten der Welt und wird im März mit dem Montréaler Symphonieorchester auf Europatournee gehen. Im Interview spricht er über die Unterschiede von Orchestern aus den USA, Kanada und Europa und über Musik, die er gar nicht mag.

München hat er gerade verlassen, nach Hamburg wird er im nächsten Jahr gehen: Nur wenige Weltklasse-Dirigenten kennen Deutschland so gut wie Kent Nagano. Jetzt wird der Kalifornier mit einem anderen Orchester zu hören sein, dem Orchestre symphonique de Montréal.

Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht der 62-Jährige darüber, was die Kanadier von anderen Orchestern unterscheidet, ob er einen Lieblingskomponisten hat - und bei welcher Musik er das Radio abschaltet.

Sie gehen mit dem Orchestre symphonique de Montréal im März auf eine ausgedehnte Europatournee. Was wollen Sie geben?

Kent Nagano: Wir haben mehrere Programme, weil wir auf die Traditionen an den einzelnen Spielhäusern eingehen wollen. Wir haben einige Stücke von Komponisten, die die Europäer gut kennen, etwa Mahler, Berlioz, Liszt oder Wagners Parsifal-Ouvertüre.

Wir wollen aber auch eigene Stücke mitbringen, zum Beispiel das Adagio des jungen Schweizer Komponisten David Philip Hefti. Hefti hat es für uns geschrieben und es wird das erste Mal in Europa zu hören sein. Und wir haben Musik von Claude Vivier, einem Komponisten hier aus Montreal, der leider sehr jung starb.

Es gibt viele große Orchester in Europa. Spielen die Montrealer die Musik denn anders?

ZUR PERSON:

Kent Nagano wurde 1951 in Kalifornien geboren. Als Kind hatte er weder Fernsehen noch Radio und konzentrierte sich ganz auf das Familienklavier. Durch die Arbeit mit Seiji Ozawa wurde er bekannt, als Dirigent vieler großer Orchester berühmt. Unter anderem war er künstlerischer Leiter des Deutsches Symphonie-Orchesters Berlin (2000 bis 2006), Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper (2006 bis 2013) und soll den gleichen Posten im nächsten Jahr in Hamburg übernehmen.

Nagano: Gustav Mahler war einer der ersten großen Komponisten, der wirklich international war. In Europa wird er durch seine Zeit in Hamburg und Wien wahrgenommen. Aber wir hier in der "neuen Welt" kennen ihn vor allem als Chefdirigenten der New Yorker Philharmoniker. Gerade seine Siebte Sinfonie, dieses vorwärtsdrängende, kraftvolle Werk, ist hier unglaublich populär. Und ja, ich glaube, dass wir zum Beispiel Mahler anders interpretieren als vielleicht ein europäisches Orchester.

Frage: Gibt es denn einen europäischen und einen amerikanischen Klang?

Nagano: Das ist eine sehr komplizierte Frage. Es gibt in vielen großen Städten ja mehrere Orchester. London zum Beispiel hat fünf von Weltrang. Jedes spielt anderes mit seinen eigenen Traditionen und seinem eigenen Verständnis von Musik - und das in nur einer Stadt. Deshalb glaube ich nicht, dass es einen typischen Klang auf dem einen oder anderen Erdteil gibt. Orchester sind wie Menschen, jeder ist anders.

Aber zumindest kommen die in Amerika zumeist ohne Subventionen aus. Heißt das, dass amerikanische Orchester erfolgreicher sind?

Nagano: Nein, sie haben nur eine ganz andere Geschichte. Und hier haben ja auch einige Orchester große Probleme, etwa in Detroit, Minnesota oder Philadelphia. Die Systeme sind sehr unterschiedlich, wer vermag zu sagen, ob eines besser oder schlechter ist? Wir investieren unsere ganze Liebe, unser ganzes Gefühl in die Musik. Die Rahmenbedingungen sind da erst einmal nicht so wichtig.

Wer ist Ihr Lieblingskomponist?

Nagano: Das hängt von der Stimmung des Tages ab. Eine abschließende Antwort kann ich aber nicht geben. Die Frage ist immer: Wer regt mich am meisten zum Nachdenken an?

Gibt es auch Komponisten, bei denen Sie das Radio abdrehen?

Nagano: Bei Musik, die künstlich ist oder sich zumindest so anfühlt. Es gibt heute in der Popmusik einiges, das anscheinend nur elektronisch erzeugt ist. Da ist einfach nicht die Spannung da, um sie mit einem Menschen zu verbinden. Was man manchmal in Restaurants hört, ist einfach furchtbar, ohne jedes Gefühl, ohne jeden Sinn. Wenn Musik von einem Menschen kommt, respektiere ich das immer als Ausdruck seiner Gefühle, selbst wenn ich die Musik nicht mag. Aber wenn es aus einer Maschine kommt, was soll ich dann damit? Ich bin im Restaurant dann immer drauf und dran darum zu bitten, das doch bitte abzustellen. (dpa)