Bochum. . Bei der Ruhrtriennale spielte das Mahler Chamber Orchestra unter der Leitung von Pultstar Kent Nagano Werke des wegweisenden amerikanischen Komponisten Charles Ives. Damit war der Bogen zur Eröffnung des Festivals mit den „Europeras“ von John Cage geschlagen.

Charles Ives: Das ist die frühe Antwort auf das kulturelle Minderwertigkeitsgefühl Amerikas gegenüber jahrhundertealter Traditionen Europas. Gerade aus der jungen, musikalisch bis dahin eher dürftigen musikalischen Geschichte Amerikas bezog Ives die Energie, unbelastet ein neues Selbstwertgefühl mit ebenso neuen Ideen und Kompositionstechniken zu entwickeln, die die Musik des 20. Jahrhunderts einschließlich der John Cages stark beeinflusst haben.

Damit schließt die Ruhrtriennale einen Bogen zum ersten Höhepunkt des Festivals, Cages „Europeras“. Zweieinhalb Stunden lang bot jetzt das Mahler Chamber Orchestra unter Leitung von Kent Nagano in der voll besetzten Bochumer Jahrhunderthalle Ives in konzentrierter Dosierung und auf Hochglanz polierter Luxusausführung.

Auf dem Programm standen nicht die bekanntesten Werke Ives, wie etwa „The Unanswered Question“ „Central Park in the Dark“ oder „Three Places in New England“, sondern mit der 2. Symphonie, dem Orchestral Set Nr. 2 und einer Auswahl seiner „114 Songs“ klug ausgewählte Schlüsselwerke, die in Europa eher selten zu hören sind. Die 2. Symphonie, entstanden 1899 bis 1902 noch in den Studienjahren des Komponisten, lässt noch Einflüsse der europäischen symphonischen Tradition von Brahms bis Tschaikowsky erkennen, die Ives freilich bereits mit Zitaten aus Folksongs, Märschen und Kirchenliedern seiner Heimat durchzieht.

Kent Nagano bringt Zitat-Ballungen zum Klingen

Eine wichtige Vorstufe zu seinen späteren Collagen und der Zersplitterung des Orchesterklangs in mehrere autonome Klangschichten. Zugleich ein Anzeichen, dass traditionelle Großformen dieser Ästhetik nicht standhalten können, so dass die nebelverhangenen Klanggemälde, aus denen die Pionier- und Bürgerkriegszeiten ebenso hervorklingen wie die Stimmung der wachsenden Großstädte und der weiten Landschaften nach anderen formalen Lösungen verlangen. In den drei Stücken des Orchestral Sets Nr. 2 hat Ives 20 Jahre später endgültig zu seiner Tonsprache gefunden. Die Souveränität, mit der Kent Nagano die kühnen Zitat-Ballungen und den atmosphärischen Reiz der Musik leuchtkräftig und transparent mit seinem famosen Orchester zum Klingen bringt, beeindruckt auf ganzer Linie.

Ruhrtriennale 2012

Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der  Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Die Kunst-Baustelle Our CenturY im Rahmen der Ruhrtriennale an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Die Kunst-Baustelle Our CenturY im Rahmen der Ruhrtriennale an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Die Kunst-Baustelle Our CenturY im Rahmen der Ruhrtriennale an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Die Kunst-Baustelle Our CenturY im Rahmen der Ruhrtriennale an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Die Kunst-Baustelle Our CenturY im Rahmen der Ruhrtriennale an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Die Kunst-Baustelle Our CenturY im Rahmen der Ruhrtriennale an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der  Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der  Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der  Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der  Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Die Kunst-Baustelle Our CenturY im Rahmen der Ruhrtriennale an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Die Kunst-Baustelle Our CenturY im Rahmen der Ruhrtriennale an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der  Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
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114 Songs aus allen Lebensbereichen, die auch seine Beschäftigung mit den transzendentalen Ansichten Ralph Waldo Emersons einschlossen, komponierte Ives im Laufe seines aktiven Lebens. 15 davon waren in Bochum hören, mit niemand Geringeren als dem Bariton Thomas Hampson und der Sopranistin Chen Reiss. Ideale Interpreten mit dem punktgenauen Feeling für die spezifische Atmosphäre der Gesänge. Zu hören waren sie nicht in der originalen Fassung als Klavierlieder, sondern in Orchestrationen dreier namhafter Komponisten.

Gesänge radikal gehärtet

Am engsten hielt sich dabei der Minimalist John Adams an die Klangpraktiken Ives. Allerdings sind seine Bearbeitungen auch bereits 22 Jahre alt, während die Versionen von Toshio Hosokawa und Georg Friedrich Haas ihre Uraufführung feiern durften. Hosokawa tauchte die „Songs My Mother Taught Me” und „Tom Sails Away” in die schillerndsten Farben des Abends, wodurch die Gesänge leicht verzuckert wirkten. „Memories“ instrumentierte dafür erstaunlich konventionell und „The Things Our Fathers Loved“ klang wie Ives in Reinkultur.

Einheitlicher ging der Österreicher Georg Friedrich Haas vor, der die Gesänge klanglich radikal härtete und Ives zum Expressionisten polte. Eine gewöhnungsbedürftige Annäherung, die aber auf jeden Fall den Ausdruck umschiffte, den Ives aus vollem Herzen verabscheute: „Nice“.

Begeisterter Beifall für einen langen, ungewöhnlichen und überragend musizierten Konzertabend.