Maidan, Taksim, Tahrir - Revolutionen brauchen ihre Plätze
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Essen. Maidan, Taksim,Tahrir: Auch im Internet-Zeitalter kommt der Protest nicht ohne Menschen aus. Und die müssen erst einmal sichtbar werden. Deshalb strömen die Menschen dorthin, wo Platz ist: Das garantiert ihre Sichtbarkeit. Und die Wirkung ihrer Proteste. Und die modernen Medien sind nur der Verstärker.
Entscheidend ist auf dem Platz, auch für die Revolution. Erst wenn die Demonstranten auf dem Maidan in Kiew abziehen, kann sich Präsident Janukowitsch sicher fühlen. Denn wer auf dem Platz ist und auch da bleibt, der zeigt, dass der Machthaber schwach ist, schwächer als die Demonstranten.
Die Revolution braucht immer Platz: Das war vor Monaten auf dem Taksim-Platz in Istanbul so, wo der Rückzug der Demonstranten die Hoffnungen auf eine Demokratisierungswelle in der Türkei beendet; das war auch auf dem Tahrir in Kairo so, wo nach Wochen der Gewalt und der Ungewissheit am Ende der Rücktritt des Präsidenten Mubarak bejubelt wurde.
Die Mutter aller Revolutionen
Vielleicht ist es sogar das entscheidende Manko der aktuellen Proteste im thailändischen Bangkok, dass sie in vergleichsweise engen Straßen und auf Kreuzungen stattfinden; selbst die wochenlange Blockade von Regierungssitzen und Ministerien erweist sich als wenig erfolgreich. Plätze hingegen lassen Massen groß wirken, auf der Straße sind sie kaum mehr als ein Verkehrshindernis.
DDR-Revolution
Die Montagsdemonstrationen in Leipzig, die zur Revolution in der DDR führten, mündeten auf dem Augustusplatz (damals Karl-Marx-Platz), einem der größten Stadtplätze Deutschlands. Am 4. November 1989 wurde die Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz mit 200 000 Menschen zu einem Meilenstein der Wende.
Die Mutter aller Revolutionen, die Große Französische, begann jedenfalls mit dem Sturm auf die Bastille, das Gefängnis, das daraufhin geschleift und in einen Platz verwandelt wurde. Die heutige Place de la Concorde, bis dahin der größte Platz Frankreichs, hieß da noch „Königlicher Platz“ – doch die Revolutionäre rissen das Reiterdenkmal Ludwigs XV. ab und stellten hier auch die Guillotine auf.
Errungenschaft der Zivilisation
Der Platz ist der wichtigste Ort der Stadtbaukunst. Eine Errungenschaft der abendländischen Zivilisation, gleichzusetzen mit Öffentlichkeit. Diktaturen fällen ihre Entscheidungen in Hinterzimmern, Republiken vor aller Augen und Ohren, und das hieß in der Antike: unter freiem Himmel
In Griechenland auf der Agora, dem zentralen Platz, der an allen vier Seiten mit Säulengängen eingefasst war und auf diese Weise auch Schutz vor Sonne, Wind und Regen bot. Hier regierte an Markttagen die Wirtschaft, an Festtagen die Religion und ansonsten fast täglich die Politik – in Gesprächen, Debatten, Abstimmungen, Entscheidungen. In exklusiven Zirkeln, Frauen und Sklaven blieben ausgeschlossen. Auch in Rom kamen die res publica, die öffentlichen Angelegenheiten auf dem Forum zur Sprache.
Kampf auf dem Maidan
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Am Ende des Mittelalters wandelt sich der Charakter zentraler Plätze; immer mehr dienen sie dazu, die wichtigsten Bauwerke einer Stadt sichtbar zu machen, Rathäuser, Kirchen – der Platz wurde zum Ort der Demonstration von gebautem Reichtum und steinerner Macht, durch und durch symbolisch.
Das Sinnbild der Aufmärsche gab Oppositionellen die Gelegenheit, ihren Protest durch Anwesenheit im bildlichen Zentrum der Macht sichtbar zu machen. Ausgerechnet in Zeiten, in denen schon von Facebook-Revolutionen die Rede ist, sagt die Erfahrung allerdings auch: Ohne Menschen, ohne ihre körperliche Präsenz und den Einsatz ihres Lebens auf dem Platz ändert sich gar nichts.
Keine Smartphones auf dem Tiananmen
Die moderne Nachrichtentechnik erhöht jedoch die Erfolgs-Chancen für politische Demonstrationen und Proteste gegen diktatorische Regimes. Wer weiß, ob es die chinesischen Machthaber gewagt hätten, die Massenproteste der Demokratiebewegung auf dem Tiananmen-Platz in ein Massaker münden zu lassen, das den „Platz des himmlischen Friedens“ zum zynischen Namen machte, wenn es 1989 schon Smartphones gegeben und ganz China, ja die Welt davon erfahren hätte.
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