Essen. . Christine Nöstlinger erzählt in ihrer Autobiographie „Glück ist was für Augenblicke“ so spannend wie in einem Roman von ihrer Kindheit in armen Verhältnissen, von ihren großen Lieben und Verlusten sowie dem Zufall, wie sie zu einer der bekanntesten deutschsprachigen Kinderbuchautorinnen wurde.

„Schließlich hastete die Rote über die Stiege runter, ihr schöner, dicker Zopf hatte sich vom Kopf gelöst und flatterte hinter ihr her. . . Am Fuß der Stiege bekam meine Großmutter das Zopfende zu fassen. . .“ Diese Zeilen über „die Rote“ stammen nicht aus „Die feuerrote Friederike“ von 1970 – dem ersten Kinderbuch von Christine Nöstlinger. Es sind Erinnerungen aus der Kindheit der heute 77-jährigen Autorin. Auf einem Schemel in der Küche sitzend mit einer Puppe im Schoß beobachtet die kleine Christine, wie die hysterische Großmutter einer der Geliebten des Großvaters hinterherjagt.

Freimütig, mit feinem Humor und viel Tiefsinn erzählt die preisgekrönte Schriftstellerin über ihr Leben, das alles andere als perfekt und damit auch alles andere als langweilig ist. Die Autobiographie liest sich wie ein spannender Roman. Der passende Titel: „Glück ist was für Augenblicke“.

Christine Nöstlinger (r.) spielt mit ihrer Mutter und ihrem zweiten Ehemann, dem Journalisten Ernst Nöstlinger, im Garten im Waldviertel Karten.
Christine Nöstlinger (r.) spielt mit ihrer Mutter und ihrem zweiten Ehemann, dem Journalisten Ernst Nöstlinger, im Garten im Waldviertel Karten. © Privat / Residenz Verlag

Mit den Frauen in ihrer Familie – Mutter, Großmutter und Schwester – wird sie nie richtig warm. Die Beziehung zu ihren Töchtern wirkt ebenfalls wenig innig. Die Männer in ihrer Familie, Vater und Großvater, vergöttert sie jedoch. Und auch mit den Partnern in ihrem Leben fühlt sie sich leidenschaftlich verbunden. Nur ist die Liebe nie von Dauer. Vom ersten Mann trennt sie sich, nachdem sie ein Kind verloren hat und wieder schwanger ist. Auch die Ehe mit dem Journalisten Ernst Nöstlinger – „Nö“ – schien nur zu halten, weil sie auf Distanz lebten. Grausig fand sie den Namen Nöstlinger. „Ich brauchte Jahre, um mich daran zu gewöhnen.“

Erst las sie Erich Kästner, dann Kurt Tucholsky

In ihrer Kindheit gab es anfangs kaum Bücher. „Mutter erzählt von Adolf Hitler“ hieß ein geschenkter Band. „Aber meine Mutter wollte nicht von Adolf Hitler erzählen. Sie steckte das Buch in den Ofen. Es brannte nicht gut, der Ofen qualmte.“ Später, nach dem Krieg, nachdem eine Bombe die kleine Wohnung mit Klo auf dem Flur zerstört hatte, las die jugendliche Christine mit Vorliebe erst Erich Kästner, später Kurt Tucholsky.

Christine Nöstlinger als Kind mit ihrem Großvater.
Christine Nöstlinger als Kind mit ihrem Großvater. © Privat / Residenz Verlag

Rot ist auch Nöstlinger. Nicht auf, sondern im Kopf. In einer Familie voller Sozialisten wird sie groß. Eine rote Gesinnung wirft man ihr auch nach Erscheinen der ersten Bücher vor. Zuvor hatte sie an der Kunstakademie in Wien studiert, aber schnell gespürt, dass ihr Talent als Illustratorin begrenzt ist. Die feuerrote Geschichte hatte sie nur erfunden, um aus ihren Bildern ein Buch zu machen.

Mehr und mehr lernt sie, selbst Regie in ihrem Leben zu führen und die Rolle der Frau zu hinterfragen. In der Werbung der 60er wird das Glück der Frau am Herd gesehen. Nöstlinger erinnert sich: „Ich kannte keine Frau in meinem Alter, die freiwillig ,Nur-Hausfrau’ war.“ Fenster-Putzen? Da vertraute sie auf die reinigende Kraft des Regens. Nöstlinger, die den Krebs besiegte, heute in Wien lebt und die vielen Nachfolger ihres erfolgreichen und verfilmten „Gurkenkönigs“ schreibt, pfeift auf Konventionen.

  • Christine Nöstlinger: Glück ist was für Augenblicke – Erinnerungen. Residenz Verlag, 253 S., 23,50 Euro