München. . In der NS-Raubkunst-Affäre hat sich Cornelius Gurlitt (80) erstmals öffentlich geäußert. Es entsteht ein Bild von einem realitätsfernen Mann, der auch die Vergangenheit seines Vaters unbelastet sieht. Seine Bilder möchte er in jedem Fall behalten.
Auf manchen abgelegenen Inseln im Pazifik haben noch im Jahr 1946 Menschen gelebt, die nicht wussten, dass der Zweite Weltkrieg längst vorbei war. So ähnlich scheint es Cornelius Gurlitt zu ergehen, dem Besitzer des beschlagnahmten Münchner Kunstschatzes.
Der Sohn des Nazi-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt versteht die Welt nicht mehr, fühlt sich unschuldig verfolgt - von Staatsanwälten, Politikern, Medien und wohl auch von jüdischen Erben. Die Behörden wollen mit ihm über eine freiwillige Rückgabe seiner Bilder sprechen. "Das mache ich auf keinen Fall", sagt Gurlitt dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".
Die "Spiegel"-Reporterin Özlem Gezer hat den 80-Jährigen vier Tage lang begleitet. Sie hat viele Gespräche mit ihm geführt - und dabei das Gefühl gehabt, als ob sie "in eine Zeitmaschine gestiegen wäre". Denn Gurlitt lebt seit Jahrzehnten in seiner eigenen Welt: abgeschottet, leise und unauffällig. Er hat aufgehört fernzusehen, als das ZDF auf Sendung ging. Seinen letzten Kinofilm sah er 1967. Noch nie hat er etwas im Internet gesucht.
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Gelebt und gesprochen hat er fast nur noch mit seinen 1400 Bildern. Doch die sind jetzt weg, beklagt er: "irgendwo in einem Keller, und ich bin allein. Warum haben sie die Bilder nicht dagelassen und nur immer die abgeholt, die sie prüfen wollen? Dann wäre es jetzt nicht so leer." Und er ergänzt: "Die hätten doch warten können mit den Bildern, bis ich tot bin."
Vater habe nur mit Nazis zusammengearbeitet, um die Bilder zu retten
Die Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung und Unterschlagung hält er für grobes Unrecht, das ihm widerfährt. Dass viel größeres Unrecht jüdischen Opfern widerfuhr, die verfolgt, enteignet und ermordet wurden - darüber scheint er nicht nachzudenken: Sein Vater habe Hitler bekämpft, allerdings nur verdeckt, sagt Gurlitt dem Nachrichtenmagazin. Sein Vater habe mit den Nazis nur zusammengearbeitet, um die Bilder zu retten. Und er, der Sohn, der den Schatz geerbt hat, sei nie der Frage nachgegangen, woher all die Bilder stammen.
Seit Jahrzehnten bekennt sich der deutsche Staat immer wieder zu seiner historischen Schuld und Verantwortung gegenüber jüdischen Opfern und Nachkommen. So viele Daten erinnern in jährlicher Wiederkehr daran: Machtergreifung, Reichspogromnacht, Kriegsbeginn, Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, Volkstrauertag... . An Gurlitt scheinen all die "Nie-wieder-Reden" vorbeigegangen zu sein, in denen die Vergangenheitsbewältigung als Verpflichtung für die Zukunft beschworen wird.
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Was den Fall aber zur weltweit aufsehenerregenden Affäre macht: Auch die deutschen Behörden haben dieses große Ganze offensichtlich nicht gesehen, sondern sich in aller Stille in juristischen und kunsthistorischen Ermittlungen verloren. 20 Monate lang hielten sie die 1400 Bilder, von denen 590 als mögliche NS-Raubkunst gelten, unter Verschluss.
Gurlitt will sich auf einvernehmliche Lösung nicht einlassen
Jetzt schieben sich die Behörden gegenseitig die Schuld zu - und streben eine einvernehmliche Lösung mit Gurlitt an. Doch darauf will sich der alte, schwer kranke Mann nicht einlassen. Er will seine Bilder zurück.
Ob ihm steuerrechtlich in Deutschland überhaupt etwas angehängt werden kann, scheint fraglich. Denn erstens dürfte das verjährt sein. Und zweitens ist Gurlitt mit seinem Hauptwohnsitz nicht in Deutschland, sondern in Salzburg gemeldet. Wie die "Süddeutsche Zeitung" (SZ/Samstag) aus bayerischen Behörden erfuhr, soll Gurlitt in Österreich für "bescheidene Einkünfte" Steuern gezahlt haben.
Die Staatsanwaltschaft Augsburg hält dagegen: "Steuerlich relevant ist nicht der Wohnsitz, sondern der Lebensmittelpunkt und für bestimmte Steuern nicht einmal der." Was genau die Ermittler in den vergangenen 20 Monaten ermittelt haben, ist unklar. Doch zu Gurlitt selbst hat der Staatsanwalt bisher kaum Kontakt aufgenommen. "Ich verstehe nicht, warum der sich noch nicht bei mir gemeldet hat", sagt der 80-Jährige. (dpa)