Essen/Wuppertal. Das Essener Museum Folkwang und das Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal vermuten, dass sich in dem Münchner Bilderschatz auch Werke aus ihren einstigen Beständen befinden könnten. Das Von-der-Heydt-Museum kritisiert die Geheimhaltung des Kunstfundes. Folkwang-Direktor Bezzola plädiert für Verständnis.
Das Essener Museum Folkwang hat eine «begründete Vermutung», dass sich in dem spektakulären Münchner Bilderschatz auch Werke aus seinem einstigen Bestand befinden könnten. Die von den Nationalsozialisten im Zuge der Aktion «Entartete Kunst» in Essen beschlagnahmten Werke «wurden, wie man weiß, zu einem großen Teil über Hildebrand Gurlitt veräußert», sagte der Direktor des Museums Folkwang, Tobia Bezzola, am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa.
In der Münchner Wohnung von Gurlitts heute 79-jährigem Sohn Cornelius hatten die Behörden mehr als 1400 Kunstwerke sichergestellt. Hildebrand Gurlitt sei spezialisiert gewesen auf Arbeiten auf Papier, Druckgrafik und Zeichnungen, sagte Bezzola. «Davon wurden sehr viele aus der Sammlung Folkwang gestohlen.»
Keine Hoffnung auf Rückgabe
Hoffnungen auf eine eventuelle Rückgabe von Kunstwerken macht sich das Museum Folkwang allerdings überhaupt nicht. Es bestehe kein Anspruch auf Restitution, da die Nazis eine gesetzliche Grundlage für die Enteignung der Museen geschaffen hätten, die auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht aufgehoben worden sei.
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Bezzola plädierte für Verständnis, dass Staatsanwalt und Zoll den Münchner Fund noch unter Verschluss halten. Durch eine frühe Veröffentlichung der Bilderliste könne «Chaos losbrechen», weil von allen Seiten Interessen und Ansprüche geltend gemacht würden. Bezzola sprach sich für eine Frist von etwa zwölf Monaten aus, danach sollten die Ergebnisse der Recherche ins Internet gestellt werden.
Wuppertaler Museum fordert Offenlegung des Kunstschatzes
Das Wuppertaler Von der Heydt-Museum hingegen kritisiert die Geheimhaltung des spektakulären Münchner Kunstfundes und fordert eine rasche Veröffentlichung der mehr als 1400 Werke. «Es wäre viel besser gewesen, wenn die Bilder ins Netz gestellt worden wären, damit wir als Beraubte prüfen können, ob sich Werke aus unserer Sammlung darunter befinden», sagte Museumsdirektor Gerhard Finckh am Mittwoch auf Anfrage. «Das sollte möglichst umgehend geschehen.»
Das Wuppertaler Museum vermutet Werke aus seinem einstigen Bestand in dem überwiegend aus Nazi-Raubkunst stammenden Kunstschatz. Das Museum werde sich mit einer Anfrage an die Staatsanwaltschaft Augsburg und das Zollfahndungsamt München wenden, sagte Finckh.
"Große Überraschung"
Die Behörden halten den bereits im Frühjahr 2012 sichergestellten Bilderschatz unter Verschluss. Gurlitts Vater Hildebrand Gurlitt (1895-1956) gehörte zu den Kunsthändlern Hitlers und hatte den Auftrag, von den Nazis als «entartet» diffamierte Kunst im Ausland zu verkaufen oder eintauschen.
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Der Fund sei «eine große Überraschung», sagte Finckh. Seit Jahren beschäftigten sich die Museen intensiv mit Restitutionsfragen. «Aber offenbar hat niemand bisher daran gedacht, auch die Nutznießer des NS-Systems unter Verdacht zu stellen», sagte Finckh. «Es ist durchaus mit interessanten Entdeckungen zu rechnen.»
Zentralregister für Raubkunst fordert Regierung zum Eingreifen auf
Das Zentralregister für Raub- und Beutekunst der Jahre 1933-1945 hat den Umgang der Behörden mit dem Münchner Fund scharf kritisiert und die Regierung zum Eingreifen aufgefordert. «Wir wollen so schnell wie möglich eine Liste der Werke in der Sammlung veröffentlicht sehen», sagte Anne Webb von der Commission for Looted Art in Europe am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa in London. Zudem müsse ein Verfahren eingerichtet werden, das es «rechtmäßigen Besitzern der Werke» ermögliche, sie schnell zurückzubekommen. Seit Bekanntwerden des Fundes werde das Register mit Anfragen nach Informationen überflutet: «Die ganze Welt blickt auf Deutschland.»
Österreichischer Experte: Münchner Kunstfund war "kein Geheimnis"
Der spektakuläre Kunstfund aus München ist für den österreichischen Kunstexperten Alfred Weidinger keine Überraschung. «Dass diese Sammlung existiert, das war kein Geheimnis. Im Grunde genommen hat jeder wichtige Kunsthändler im süddeutschen Raum gewusst, dass es das gibt - auch in der Dimension», sagte der Vizedirektor des Wiener Belvedere der österreichischen Nachrichtenagentur APA am Mittwoch. Die Aufregung darüber sei «aufgeblasen».
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Versäumnisse sieht der Experte für die klassische Moderne bei den Restitutionsforschern: «Jetzt von einer großen Entdeckung zu sprechen, ist geradezu lächerlich. Wenn ein Restitutionsforscher ordentlich arbeitet, ist es kein Geheimnis, den Spuren der Familie Gurlitt nachzugehen - in keiner Art und Weise.» Genauere Nachforschungen hätten die zuständigen Experten schon viel früher zu der Sammlung führen müssen: «Wenn man im Jahr 2013 darauf kommt, dass es in München die Sammlung Gurlitt gibt, dann haben die ihren Job nicht richtig gemacht.»
Dass der Fund in der Wohnung des 79-jährigen Cornelius Gurlitt von den Behörden so lange geheim gehalten wurde, ist für Weidinger nicht verständlich: «Ich glaube, da wollen sich Leute wichtig machen.» (dpa)