Augsburg. Der spektakuläre Fund von mehr als 1000 Bildern in einer Münchner Wohnung umfasste auch Werke aus dem 16. Jahrhundert und bislang unbekannte Meisterwerke von Dix, Chagall und Matisse. Laut Staatsanwaltschaft besteht neben Steuerhinterziehung auch der Verdacht der Unterschlagung gegen den 79-Jährigen Cornelius Gurlitt.

Unter den in einer Münchner Wohnung gefundenen Bildern befinden sich auch bislang unbekannte Meisterwerke. Dazu gehören Werke von Otto Dix, Marc Chagall und Henri Matisse, sagte die Berliner Kunsthistorikerin Meike Hoffmann am Dienstag in Augsburg. Gegen den Besitzer der Wohnung, den Kunsthändler-Sohn Cornelius Gurlitt, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung und der Unterschlagung.

Am Wochenende hatte der "Focus" den sensationellen Fund der Bilder aufgedeckt. Ein Großteil davon scheint Nazi-Raubkunst zu sein, darunter Werke des Expressionismus, Dadaismus, Surrealismus oder Kubismus - Kunstströmungen, die von Adolf Hitler als "entartet" stigmatisiert worden waren. Die Nationalsozialisten hatten aus Museen und von Privatbesitzern etwa 20.000 Bilder beschlagnahmt, deren Verbleib ist bis heute in vielen Fällen unklar.

"Unglaublich großer wissenschaftlicher Wert"

Die von der Justiz mit der Begutachtung der Werke beauftragte Hoffmann sagte, der Fund habe "einen unglaublich großen wissenschaftlichen Wert". Nach ihrer ersten Einschätzung sind diese in einem guten Zustand und echt. Es gebe "überhaupt keine Anhaltspunkte", dass es sich um Fälschungen handle.

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Hoffmann hob besonders ein Selbstporträt des zu den bedeutendsten deutschen Malern des 20. Jahrhunderts zählenden Otto Dix hervor, das in keinem Katalog erfasst und bislang unbekannt sei. Auch ein bisher unbekanntes Werk von Marc Chagall sei gefunden worden.

Hoffmann sagte, das Bild sei von einem "ganz besonders hohen kunsthistorischen Wert". Die Expertin zeigte auch das Foto eines Gemäldes des zu den bedeutendsten Vertretern der klassischen Moderne zählenden Henri Matisse, das bislang nirgends erwähnt sei.

Nicht nur Nazi-Raubkunst

Wie der leitende Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz sagte, fanden die Ermittler in der Wohnung in Schwabing 121 gerahmte und 1285 ungerahmte Werke, also insgesamt 1401 Bilder und nicht wie ursprünglich vom "Focus" berichtet 1500 Bilder.

Die Werke - Ölgemälde, Lithographien, Zeichnungen und Aquarelle - stammten von großen Künstlern wie Max Liebermann, Max Beckmann, Pablo Picasso, Albrecht Dürer, Pierre-Auguste Renoir oder Henri de Toulouse-Lautrec. Es handelte sich nicht nur um Nazi-Raubkunst, sondern um bis ins 16. Jahrhundert zurückreichende Bilder.

Der Münchener Sensations-Fund

Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938), Farbholzschnitt mit Motiv eines Mädchens. Herkunft: Kunsthalle Mannheim. In dieser Farbigkeit war die Druckgrafik Kirchners bisher nicht bekannt.
Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938), Farbholzschnitt mit Motiv eines Mädchens. Herkunft: Kunsthalle Mannheim. In dieser Farbigkeit war die Druckgrafik Kirchners bisher nicht bekannt. © AFP
Carl Spitzweg (1808-1885), Zeichnung:
Carl Spitzweg (1808-1885), Zeichnung: "Das musizierende Paar". Es handelt sich um eine Vorzeichnung zu einem Gemälde, das im Werkverzeichnis erfasst ist. © AFP
Gustave Courbet (1819-1877),
Gustave Courbet (1819-1877), "Mädchen mit Ziege". Von dem Bild gibt es zwei Versionen, die beide im Werkverzeichnis deklariert sind. Das beschlagnahmte Bild wurde erst 1949 auf einer Auktion versteigert. Das Bild geriet also erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die Sammlung Gurlitt. © AFP
Otto Dix (1891-1969), Farblithographie, Motiv einer älteren Dame. Die Herkunft kann nicht eindeutig nachgewiesen werden.
Otto Dix (1891-1969), Farblithographie, Motiv einer älteren Dame. Die Herkunft kann nicht eindeutig nachgewiesen werden. © AFP
Otto Dix, Selbstporträt. Ein Bild, das bisher völlig unbekannt war und weder im Werkverzeichnis noch irgendwo anders publiziert wurde. Es dürfte um 1919 entstanden sein. Damit sei es eines der ganz wenigen Werke, die Dix gleich nach dem Ersten Weltkrieg malte, sagte...
Otto Dix, Selbstporträt. Ein Bild, das bisher völlig unbekannt war und weder im Werkverzeichnis noch irgendwo anders publiziert wurde. Es dürfte um 1919 entstanden sein. Damit sei es eines der ganz wenigen Werke, die Dix gleich nach dem Ersten Weltkrieg malte, sagte... © AFP
...die Berliner Kunsthistorikerin Meike Hoffmann, die die Herkunft der Bilder erforscht.
...die Berliner Kunsthistorikerin Meike Hoffmann, die die Herkunft der Bilder erforscht. © Getty Images
Henri Matisse (1869-1954), Gemälde einer sitzenden Frau, nicht im Werkverzeichnis enthalten. Das Bild dürfte Mitte der 1920er Jahre entstanden sein. Es wurde 1942 vom
Henri Matisse (1869-1954), Gemälde einer sitzenden Frau, nicht im Werkverzeichnis enthalten. Das Bild dürfte Mitte der 1920er Jahre entstanden sein. Es wurde 1942 vom "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg" in einem Banktresor im französischen Libourne beschlagnahmt. © AFP
Max Liebermann (1847-1935), Gemälde: Zwei Reiter am Strand. In der Münchner Sammlung wurden weitere Zeichnungen und Skizzen Liebermanns gefunden.
Max Liebermann (1847-1935), Gemälde: Zwei Reiter am Strand. In der Münchner Sammlung wurden weitere Zeichnungen und Skizzen Liebermanns gefunden. © AFP
Franz Marc (1880-1916), Gouache
Franz Marc (1880-1916), Gouache "Landschaft mit Pferden", Herkunft: Kunst- und Gewerbemuseum in Moritzburg. © AFP
Marc Chagall (1887-1985), Gouache einer allegorischen Szene, nicht im Werkverzeichnis enthalten. Die Herkunft ist nicht eindeutig bestimmt.
Marc Chagall (1887-1985), Gouache einer allegorischen Szene, nicht im Werkverzeichnis enthalten. Die Herkunft ist nicht eindeutig bestimmt. © AFP
Canaletto (1697-1768), Radierung: Ansicht von Padua, im Werkverzeichnis enthalten, Herkunft nicht geklärt.
Canaletto (1697-1768), Radierung: Ansicht von Padua, im Werkverzeichnis enthalten, Herkunft nicht geklärt. © AFP
Volles Haus im Justizzentrum Augsburg: Die Ankündigug, dass erstmals Bilder aus der beschlagnahmten Münchner Sammlung  zu sehen sein werden, hatte viele Journalisten angelockt.
Volles Haus im Justizzentrum Augsburg: Die Ankündigug, dass erstmals Bilder aus der beschlagnahmten Münchner Sammlung zu sehen sein werden, hatte viele Journalisten angelockt. © AFP
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Die Ermittler korrigierten die "Focus"-Angaben, wonach die Durchsuchung im Frühjahr 2011 stattfand. Tatsächlich habe sie am 28. Februar 2012 begonnen. Gurlitt verfügt nach Erkenntnissen des Zolls über kein weiteres Bilder-Lager.

Er ist der Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, der im Dritten Reich Werke entarteter Kunst offiziell handeln durfte. Dieser hatte nach Kriegsende offensichtlich falsch angegeben, dass die von ihm verwahrten Bilder zerstört seien.

Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz sagte, "hinsichtlich dieser Werke wird ermittelt, ob sie unterschlagen wurden". Damit steht Gurlitt außer wegen Steuerhinterziehung auch wegen Unterschlagung unter Verdacht. Allerdings sagte Nemetz, es liege kein dringender Tatverdacht vor.

Zudem seien die Ermittlungen in jeder Hinsicht aufwändig und komplex. Nemetz wollte auch nicht ausschließen, dass am Ende womöglich Gurlitt alle oder einen Teil der Bilder zurückerhalten könnte. Die Staatsanwaltschaft hat laut Nemetz derzeit keinen Kontakt zu Gurlitt und weiß auch nicht, wo er sich aufhält. Medienberichten zufolge lebt er in Österreich. (afp)