Köln. David Sedaris tut es wieder: Der US-Autor erzählt in “Sprechen wir über Eulen - und Diabetes“ über schweißtreibende Zahnarztqualen, seinen piesackenden Vater und ausgestopfte Unterarme. Im Interview spricht der 56-Jährige über die Illusion von Öffentlichkeit und die Tragik hinter der Komik.

David Sedaris reist viel. Und er nimmt seine Leser mit: Zu seiner blutigen und schweißtreibenden Zahnbehandlung in Paris oder in den Laden mit den ausgestopften Tieren in England, in dem er nach einem Geschenk für seinen Freund sucht - und Gruseliges findet. Der amerikanische Autor reist mit seinen autobiographischen Essays aber auch gern in die Vergangenheit: in seine Kindheit und Jugend im Schoß einer großen Familie. Sedaris' Fans lieben ihn für seinen Witz, seine Fähigkeit, die Komik im Alltäglichen zu beschreiben – und seine Bereitschaft, sich selbst zum Affen zu machen.

Familienprobleme, Beziehungen, Drogensucht und andere Krankheiten – über all das haben Sie sehr detailliert geschrieben. Ist für Sie nichts privat?

David Sedaris: Eigentlich erzeuge ich nur die Illusion, dass ich Dinge bloßlege. Ich schreibe zum Beispiel nie über mein Sexualleben – nicht mal in meinem Tagebuch! Ich schreibe nie darüber, was ich auf der Toilette tue – nur darüber, was andere Leute auf der Toilette tun. Und niemand weiß, wen ich nicht leiden kann.

Ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich zu sehr exponiere mit dem, was ich schreibe. Ich scheue mich aber nicht, Schlechtes über mich selbst zu sagen, weil ich glaube, dass die schlimmsten Dinge, die man von sich erzählen kann, diejenigen sind, mit denen sich die meisten Leute identifizieren können. Denn letztendlich unterscheiden wir uns ja alle nicht so sehr.

Ich schreibe nicht über die Dinge, die ich gut kann, sondern schildere mich eher als unbeholfen und linkisch. Ich kann zum Beispiel hervorragend mit Geld umgehen. Die längste Zeit hatte ich keines, aber seit ich welches habe, vermehre ich es. Darin bin ich echt gut. (lacht)

Sie schreiben über Dinge, die Sie erleben. Manche Ihrer Geschichten klingen aber so abgedreht und absurd, dass man sich fragen muss: Wie viel davon ist Fakt und wie viel ist Fiktion?

Sedaris: Wenn meine Geschichten in dem Magazin „The New Yorker“ erscheinen, dann werden die Fakten gecheckt. Zum Beispiel die erste Geschichte in „Sprechen wir über Eulen - und Diabetes“, in der ich von meinen Zahnärzten in Frankreich erzähle. Da hat jemand meine Ärzte in Frankreich angerufen und gefragt: ,Haben Sie die vier Zähne aus dem Unterkiefer entfernt?' und ,Haben Sie eine Katze, die Andy heißt?'. Sie haben wirklich alles gecheckt.

Oder die Geschichte, in der ich eine ausgestopfte Eule für meinen Freund Hugh suche. Sie haben in dem Laden angerufen und gefragt: ,Haben Sie einen ausgestopften menschlichen Arm in einer Plastiktüte des Supermarktes Waitrose? Und haben Sie einen Menschen-Kopf in einer Tüte des Supermarktes Tesco?' Glücklicherweise wurde beides bestätigt. Für mich geht’s in der Geschichte sehr um diese Tüten. Ohne die wäre der Witz nur halb so gut.

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In früheren Büchern, zum Beispiel „Nackt“, habe ich oft übertrieben. Ich musste es neulich nochmal lesen und dachte: ,Himmel, wieso habe ich da nicht ein bisschen weniger dick aufgetragen?' Bei der Wahrheit zu bleiben scheint meinen Geschichten gut zu tun. Man kann Geschichten natürlich zeitlich straffen, ohne der Geschichte etwas zu nehmen. Wenn mein Freund Hugh und ich etwas gemeinsam erleben, wird seine Version der Geschichte wird immer genauer sein, was die Fakten angeht – und wenn Sie dann wieder aufwachen, wissen Sie das vielleicht auch zu schätzen. (grinst). Ich lasse gewisse Sachen weg, um auf den Punkt zu kommen.

In Ihren Essays kommen Ihre Geschwister und Eltern häufig vor – und manchmal nicht sehr gut weg. Wie finden die das eigentlich?

Sedaris: Ich habe gerade eine Geschichte geschrieben, in der meine ganze Familie vorkommt. Ich habe jedem eine Kopie geschickt und möchte von allen wissen, was sie davon halten. Eine meiner Schwestern hat sich das Leben genommen. Darum geht es nicht in der Geschichte, sondern darum, wie uns das zusammengebracht hat.

Ich kann mir vorstellen, dass mein Vater ein Problem damit hat, wenn jeder weiß, dass sie Selbstmord begangen hat. Ich finde allerdings, dass wir uns deshalb nicht schämen müssen. Jemand anderes in meiner Familie findet vielleicht, dass ich die Privatsphäre meiner Schwester verletze, wenn ich der Welt davon erzähle. Aber ich finde: Wenn man sich das Leben nimmt, gibt man eben die Möglichkeit auf, Einfluss auf andere zu nehmen.

Ich fühle mich nicht schlecht, wenn ich öffentlich mache, dass sie Selbstmord begangen hat. Es geht in der Geschichte tatsächlich nicht um sie, sondern um uns – und darum, wie wir ohne sie überleben. Ich warte noch auf die Reaktion einiger Leute aus meiner Familie. Mal sehen, was passiert.

Was bedeutet Ihnen Familie?

Sedaris: Als ich diese Geschichte über uns nach dem Suizid meiner Schwester geschrieben habe, ist mir etwas klar geworden: Ich habe in meinem Leben immer wieder mal den Glauben an mich selbst verloren – den Glauben an meine Familie habe ich nie verloren. Die Überzeugung, dass sie einfach besser sind als alle anderen.

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Zu dieser Überzeugung war ich mit ungefähr 17 gelangt, und seitdem hatte ich nicht mehr genauer drüber nachgedacht. Muss ich auch gar nicht. Das hat mich mein ganzes Leben lang getragen, hat mir immer Kraft gegeben. Familie bedeutet mir alles. Und wenn Leute mir sagen, dass sie so gern über meine ,durchgedrehte Familie' lesen, dann denke ich: ,Meine Familie ist bestimmt weit weniger durchgedreht als deine!'

Sie werden als Humorist bezeichnet, aber viele Ihrer Geschichten haben eher tragikomische Elemente, und manche haben richtig traurige Seiten. Was finden Sie eigentlich lustig?

Sedaris: Was ich lustig finde? Jemanden der hinfällt, das finde ich witzig (lacht). Kennen Sie dieses Video auf Youtube von einer Frau, die in Amerika durch ein Einkaufszentrum läuft und dabei eine SMS schreibt? Sie läuft auf einen Brunnen zu, der hat ein niedriges Mäuerchen, sie sieht ihn nicht und fällt rein. Sowas ist für mich das Lustigste überhaupt.

Ich finde, dass Leid manchen Geschichte erst das nötige Gewicht gibt. Zum Beispiel die Geschichte über die „Meeresschildkröten“. Die hab ich neulich mal wieder gelesen und selbst gedacht: Mein Gott, ist das alles traurig. Es geht eben um mehr als die Schildkröten (die irgendwann sterben, Anm. d. Red.). Es geht auch darum, dass ich erkenne, dass ich schwul bin, dass ich anders bin als der Nachbarjunge und anders als mein Vater. Und dass ich mich frage, wie mein Leben verlaufen wird.

Ich habe die Geschichte vor zwei Jahren geschrieben und auf der Bühne bestimmt schon 50 mal gelesen. Und bis letztes Wochenende ist mir nie aufgefallen, dass sie tatsächlich auch sehr traurig ist.