Essen. . Der „Herr Lehmann“-Autor und Sänger von Element Of Crime sprach mit uns über Techno, Drogen, Entzug und seinen neuen Roman „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“. Dabei handelt es sich um einen wilden Roadtrip durch das ravende Deutschland des Jahres 1995.

Popstar und Bestseller-Autor, geht’s noch besser? Sven Regener, Sänger von Element Of Crime, setzt seine „Herr Lehmann“-Trilogie fort mit „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“, einem von Drogen aufgekratzten Roadtrip durch das Techno-Deutschland von 1995. Im Auge des Bass-Sturms: Karl Schmidt, bester Freund von Herrn Lehmann, der seit fünf Jahren clean ist und nun seine Freunde vom BummBumm-Label als einzig Nüchterner auf einer exzessiven Tour kutschiert.

Herr Regener, Sie und Techno? Wer hätte das gedacht?

Regener: Ich war damals dabei als jemand, der mitgenommen wurde und der eher so im Backstage-Bereich rumgelaufen ist. In meinem Buch gibt es die Essener „Springtime“, die ja an unschwer als die „Mayday“ in Dortmund zu erkennen ist. Da gab es immer diese Lounges von den ganzen Labels, wo dann Extra-Partys liefen. Bei sowas war ich gerne dabei. Aber nicht als Insider. Ich bin Rockmusiker und das hier ist kein Schlüsselroman. Deshalb habe ich auch den Namen der Stadt und der Halle verändert. Es ging mir eher darum, wie die Sache sich anfühlt.

Das ist Ihnen gut gelungen, alle um ihren Ich-Erzähler Karl Schmidt wirken ständig so, als ob sie auf Koks wären…

Das wird ja nie erwähnt, denn Karl Schmidt darf davon ja nix wissen. Er hat ja die Bedingung gestellt, er will nicht mitbekommen, wie die Leute koksen. Und dass man in seinem Beisein nicht kiffen soll. Aber kaum sitzt er im Auto, geht der erste Spliff an. Ich denke, dass man sich gar nicht im Klaren sein kann: Wer von den Leuten, die da unterwegs sind, ist eigentlich naturverstrahlt und wer ist gedoped.

Trotzdem: Karl Schmidt, als therapierter Abhängiger, mitten in einem solchen Chaos?

Das ist eine dankbare Position, denn Karl Schmidt war in den Jahren, als Techno durch die Decke ging, komplett draußen, wie im Koma. Und dann erwacht er und sieht das zum ersten Mal mit eigenen Augen. Generell ist wichtig, dass man solche Sachen wie Techno vorurteilsfrei sieht. Es ist auch eine gute Position für mich als Autor, auch mal die Vorurteile wegzuräumen. Ich habe eigentlich erst 1996/97 durch meine Frau Kontakt zu den Akteuren gehabt. Da habe ich erstmal begriffen, dass es ein Fehler ist, keinen Respekt zu haben, bloß weil man selbst andere Musik macht.

Es geht ganz schön wild zu in ihrem Buch: Die Akteure reden eine Menge Quatsch – und Kapiteltitel wie „Kein Fluxi in Schrankenhusen-Borstel“ sprechen für sich.

Charaktere wie die Labelchefs Ferdi und Raimund sind große Quatschköpfe, die machen einen großen Unsinn. Aber die sind ja nicht dumm. Das sind Leute, die sehr erfolgreich sind. Das merkt man, wenn bei Karl Schmidt manchmal diese Bewunderung doch durchblitzt. Obwohl er immer aufräumen muss hinter ihnen. Und die Fluxi-Hotels? Die kann man sich so als Vertreterschließfach vorstellen, absolut genormt, oder wie es heißt: „Man schläft wie in Tupperware.“ Das ist schon irgendwie toll. Vor allen Dingen, weil es ja gleichzeitig so Freaks sind, die ich da reisen lasse. Das macht ja den Charme aus: die machen eine „Magical Mystery Tour“ und machen einen Deal mit so einer Vertreterschließfach-Hotelkette.

Im krassen Kontrast dazu steht die Tristesse, die Karl Schmidt anfangs in der Altonaer Drogen-WG für Ex-Junkies erlebt. Wie recherchiert man einen solchen Entzugs-Alltag?

Ich bin jetzt über 50 Jahre alt und man kann eigentlich gar nicht so alt werden, ohne mit so etwas konfrontiert worden zu sein. Bei Bekannten und Freunden, auch bei sich selbst. Auch mit Depressionen und solchen Geschichten. Ich glaube, das oberste Gebot ist auch im Roman, dass man keine Pappkameraden durch die Gegend schiebt, sondern individuelle Figuren. Und das heißt, dass man gar nicht so sehr Rücksicht auf das nehmen darf, wovon man glaubt, dass es allgemein so gesehen wird.

Als Musiker haben sie gegen illegale Musikdownloads vor einiger Zeit ordentlich gewettert, aber bieten Bezahlmodelle wie Spotify wirklich eine Alternative?

Die Soundqualität bei Spotify ist schlecht, man mag das wirklich nicht gerne hören. Die Künstler bekommen kaum Geld. Und Spotify selbst macht sogar noch Verlust. Was ist denn das für ein Geschäftsmodell? Für Indie-Labels ist das ohnehin keine akzeptable Alternative. Und für die Hörer? Da gilt die schöne Wahrheit: Wenn’s im Internet nichts mehr kostet, dann bist du nicht der Kunde, dann bist du das Produkt.

Was denken Sie, wenn die Leute beim Konzert ihre Handys zücken?

Das find’ ich nicht schlimm, das ist mir egal. Ich bin Rockmusiker, bei uns ist alles wurscht. Wir sind ja nicht in der Oper. Ich find nur schade, dass die Leute nicht mehr rauchen dürfen.

  • Sven Regeners Roman „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“ (Galiani Berlin, 512 S., 22,99 €) zu lesen, ist nur das halbe Vergnügen. Das Hörbuch (10 Std., 28 €) hat Regener in seinem schnodderigen, rhythmischen Lesestil äußerst vergnüglich selbst eingelesen – es klingt fast wie Musik.