Essen. Wladimir Kaminer, der Vater von „Russendisco“, präsentierte zwar nicht sein neuestes Buch in der Zeche Carl, dafür aber viele unveröffentlichte Texte - manchmal lustig, häufig amüsant und fast immer unterhaltsam.

Er ist der Deutschen liebster Russe und mittlerweile ein Exportschlager der Bundesrepublikanischen Literaturszene. Mehr als 200 Besucher kamen zur Lesung Wladimir Kaminers in die Zeche Carl und waren danach um einiges schlauer: Erst gehen einem die Kuscheltiere aus und dann der Rest, außerdem werden Bücher von Hohlköpfen und Spinnern geschrieben.

Ein Schriftsteller sitzt kerzengerade am Tisch, vor ihm eine Flasche Wasser und sein jüngstes Werk, auf der Nase eine Lesebrille, trägt er mit getragener Stimme große Literatur vor. Genau so ist eine Lesung von Wladimir Kaminer nicht. In der Linken ein Bündel loddriger Blätter, in der Rechten ein Glas Wein, steht er auf der Bühne, liest manchmal, plaudert oft. Der Mann, der die „Russendisko“ salonfähig gemacht hat, ist der Interpret des Alltäglichen, seines Alltäglichen, und am liebsten erzählt er sowieso aus seinem Leben.

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Von DerWesten

Zum Beispiel wie „Xavier“, Kuscheltier von Sohn Sebastian, regelmäßig von eifrigen Zimmermädchen in den gemeinsamen Urlauben und Lesereisen mitsamt der Bettwäsche in die chemische Reinigung verschleppt wird und der Vater dem Filius vom Leben als vergänglicher Requisite vor-philosophiert. Oder wie die Gattin auf einer Lesereise in Tallinn in der örtlichen VW-Vertretung einen heißen Reifen gedreht und die anwesende Fangemeinde mit Verleger in einen Hühnerhaufen verwandelt hat.

Alltags-Philosoph

Das ist manchmal lustig, häufig amüsant und fast immer unterhaltsam. Kaminer ist weniger der Mann für große Rhetorik sondern für feine Ironie und reine Lakonie. Er löst sich von seinen Texten, erzählt mit angenehmer Stimme und reizvollem Akzent einfach mal drauflos, kommt vom Hundertsten ins Tausendste, stutzt, und schlägt den Bogen wieder zurück. Erzählt vom Schriftsteller-Leben und vom Paradox, dass er mittlerweile als gebürtiger Russe gerne geladener Gast des Goethe-Instituts für die Verbreitung der deutschen Kultur im Ausland eingesetzt wird. Sein Witz lauert im distanzierten Zusehen.

Und das kommt an, sogar richtig gut. Etwa zu zwei Dritteln unter 40 Jahre alt, nimmt das Publikum die Welt von Kaminer gerne an, auch da, wo sie eigentlich gar nicht so lustig ist. Und auch den Eintrittspreis von 18 Euro nehmen sie dem Wahlberliner nicht übel, der nebenbei auch ein großer Künstler der Selbstvermarktung ist. Aber er hat an diesem Abend auch etwas anzubieten, nämlich fast ausschließlich unveröffentlichte Texte.

„Es ist einfach langweilig, jeden Abend immer die gleichen Geschichten zu erzählen. Deshalb lese ich gerne die neuesten Sachen“, wird er nach dem Auftritt verraten. Die „Kaukasische Schwiegermutter“, sein neuestes Buch, bekommt man nur in einem kleinen Auszug zu hören. Dafür aber jede Menge anderer Sachen, die er aus seiner losen Blättersammlung hervorkramt. So etwa die Geschichte von seinen Kindern, die, schriftgläubig wie sie sind, den Druckfehler im Kochbuch in die Tat umsetzen und den Chefsalat in 375 Milliliter Olivenöl ertränken. Kaminer: „Seit ich Schriftsteller bin weiß ich, dass Bücher von Spinnern und Hohlköpfen geschrieben werden. Am Anfang war eben das Wort und jetzt haben wir den Salat.“