Essen. . Der Roman „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ von Joël Dicker ist auch in Deutschland schnell in den Bestseller-Listen gelandet. Ein präzises Sittengemälde der US-Ostküsten-Gesellschaft der 70er-Jahre entpuppt sich als verzwickter Kriminalfall.

Dieser Roman ist ein Phänomen. Man kann „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ lesen als verzwickten Kriminalfall, als melancholische Liebesgeschichte, als präzises Sittengemälde der US-Ostküsten-Gesellschaft der 70er-Jahre oder gar als Gebrauchsanweisung zur Schriftstellerei. In jedem Fall ist Joël Dickers fast 700 Seiten starke Geschichte das, was die Amerikaner ei­nen „Pageturner“ nennen – man kann nicht anders, als immer noch eine Seite weiter zu lesen.

Die beiden Protagonisten des Romans sind Schriftsteller: Harry Quebert, im Jahr 2008 in den USA eine Schriftstellerlegende, und dessen literarischer Ziehsohn Marcus Goldmann, inzwischen selbst anerkannter Autor, der jedoch unter akuter Schreibblockade leidet. Als im Garten von Queberts Haus durch einen Zufall die Leiche von Nola, ei­ner mehr als 30 Jahre zuvor verschwundenen Jugendlichen, entdeckt wird und Quebert unter Mordverdacht im Gefängnis landet, macht Goldmann sich an die Recherche der Ereignisse von 1975. Auf der Suche nach Entlastungsbeweisen für seinen Mentor – und nach dem Stoff für einen neuen Bestseller.

Decker springt gekonnt zwischen den Handlungsebenen

Auf dieser Grundlage startet Autor Joël Dicker – 27 Jahre jung, promovierter Jurist, Sohn einer Buchhändlerin aus Genf – auf virtuose Weise ein komplexes literarisches Vexierspiel. Gekonnt springt er zwischen Handlungsebenen und -zeiten und pirscht sich an die lange zurückliegenden Ereignisse heran. Doch die sind viel komplizierter als es auf den ersten Blick erscheint. Und nicht wenige der auf die eine oder andere Art in den Fall verwickelten Personen haben großes Interesse daran, dass die Wahrheit nicht an Tageslicht kommt.

Dickers Buch zieht den Leser langsam in seinen Bann. Doch je länger man dem Protagonisten Marcus Goldmann bei seiner literarischen Detektivarbeit folgt, desto stärker wird der Sog. Immer dann, wenn man glaubt, nun sei die Quelle der verhängnisvollen Ereignisse, die zum Tod der jungen Nola führten, erreicht, gibt eine neue Wendung der Handlung eine neue Richtung. Auch wenn Dickers Buch vielleicht 100 Seiten und ein, zwei Volten weniger gutgetan hätten: „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ ist eine spannende und fesselnde Lektüre. Buchstäblich bis zur letzten Seite.