"Placebo"-Sänger Brian Molko hält wenig von Facebook und Co.
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Berlin. . Seit 20 Jahren im Geschäft: Placebo stellt mit „Loud Like Love“ ihr siebtes Album vor. Sänger Brian Molko glaubt, dass soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter & Co die Menschen nicht zueinander bringen, sondern sie entfremden.
Soziale Netzwerke und der Handy-Kult bringen Menschen nicht zueinander, sondern fördern die Entfremdung, sagt Brian Molko, Sänger der britischen Rockband Placebo. Wir trafen ihn in Berlin.
Brian, wie oft googelst Du dich selbst?
Brian Molko: So ein bis zwei Mal…
…am Tag?
Molko (lacht): Im Jahr.
Kam Dir die Idee für die Zeile „My Computer thinks I’m gay“ aus eurer neuen Single „Too many Friends“ wegen so einer Google-Autovervollständigung?
Molko: Du meinst „Brian Molko…schwul“? Oh, gute Idee, kann echt sein, das probiere ich nachher mal aus. Nein, es war anders. Ich weiß gar nicht mehr, was ich mir im Netz angeschaut hatte, jedenfalls fingen die Internetseiten plötzlich an, Werbebanner anzuzeigen, die sich unmittelbar und ausschließlich an schwule Männer richteten.
Wäre interessant zu erfahren, was Du dir angeguckt hast.
Molko: Ich kann mich echt nicht mehr erinnern, aber ein Katzenvideo wird es wohl nicht gewesen sein (lacht). Oder man fragt den Geheimdienst, die zeichnen das ja angeblich alles auf. Ich fand das wirklich seltsam mit dieser Werbung, hatte schnell diese Zeile im Kopf und fand: „Was für eine witzige Art, einen Song zu beginnen.“
"Wir verbringen zu viel Zeit im virtuellen Raum"
In der Tat.
Molko: Ich setzte mich dann hin und dachte intensiv über das ganze Thema nach. Ich erinnerte mich, wie zwei Facebook-Freunde von mir diese Funktion deaktiviert hatten, weitere Freunde anzunehmen. Weil sie meinten, sie hätten schon zu viele Freunde. Komisch, oder? Ich meine, sind das denn alles wirklich Freunde? Die meisten Leute sammeln diese Kontakte doch nur, um damit prahlen zu können. Damit die anderen sehen, wie beliebt man vermeintlich ist. Also überlegte ich als nächstes, wie viele richtige Freunde ich eigentlich habe. Und ob ich genug Kontakt mit denen halte.
Molko: Ich bin der Meinung, dass diese Großunternehmen, die hinter den sozialen Netzwerken stecken, nicht den Zusammenhalt fördern, sondern die weitere Entfremdung und Vereinzelung. Und ich beobachte, dass unsere sozialen Kompetenzen nachlassen. Weil wir so viel Zeit im virtuellen Raum verbringen, verlernen wir, mit unseren Freunden in der Realität umzugehen. Du musst mal darauf achten: Ich schätze, 50 Prozent der Leute, die sich im Restaurant gegenübersitzen, glotzen auf diese dämlichen kleinen Bildschirme.
Bist Du selbst ein guter Freund?
Molko: Ich könnte noch besser sein. Ich bin oft nicht da, aber ich pflege meine Freundschaften, und versuche, meine Kontakte aufrechtzuerhalten. Mir fällt gerade ein: Wir sollten T-Shirts mit dem Satz drucken lassen: My Computer thinks I’m gay.
Technisch gesehen hat er angesichts deiner Bisexualität ja weder ganz recht noch ganz unrecht.
Molko: Stimmt. Ironischerweise handelt dieser Song null Komma null von Sex.
"Ich bin erschrocken über die Reaktionen"
Als Placebo Mitte der Neunziger Jahre groß rauskamen, konntest Du mit deiner Sexualität und dem androgynen Auftreten noch für Verwirrung und Aufsehen sorgen. Mittlerweile lockt man mit solchen Aspekten niemanden mehr hinter dem Ofen hervor.
Molko: Natürlich. Die Gesellschaft hat sich gewandelt, und das ist selbstverständlich zu begrüßen. Wenn Schwule und Lesben verrückt genug sind, heiraten zu wollen, dann können sie das endlich auch tun (lacht). Aber ich bin erschrocken über die Reaktionen, die diese Änderungen in der Bevölkerung hervorrufen. Die ganzen Proteste in Ländern wie Frankreich fand ich extrem unverständlich. Das zeigt mir, wie konservativ unsere scheinbar so aufgeklärte Gesellschaft in Wirklichkeit noch ist.
Bist Du zu 100 Prozent unkonservativ?
Molko: Nein, ich bin gar nichts zu 100 Prozent. Meine Meinungen sind vom Thema abhängig, ich unterstützte nicht eine politische Richtung per se.
Als Sohn eines Bankers hat es Dir schätzungsweise besonders viel Spaß gemacht, das Lied „Rob the Bank“ zu schreiben.
Molko: Ich kann nicht verhehlen, dass mir dieser Song eine große Portion fiesen Vergnügens bereitet (lacht). Dabei geht es überhaupt nicht um die globale Finanzkrise oder die Verfehlungen der Banken, auch wenn ich im Text viele Banken aufzähle und besonders stolz darauf bin, den Namen „Liechtenstein“ fast richtig auszusprechen.
Du singst „Licktenstein“.
Molko: Ja, wie gesagt, fast richtig. Das Lied handelt von Besessenheit und Eifersucht. Ich sage „Mir egal, was du machst. Du kannst klauen und Behinderte beleidigen, aber so lange du abends heimkommst, bin ich glücklich und verzeihe dir alles.“ Letztlich geht es um die Verzweiflung eines Menschen, der weiß, dass er gerade verlassen wird. „Rob the Bank“ ist ein wirklich extremes Liebeslied.
"Loud like Love" ist kein Liebeslieder-Album
Abgründige Liebe scheint auch in „Exit Wounds“ das Thema zu sein.
Molko: In „Exit Wounds“ ist schon beim nächsten Schritt angekommen. Hier ist jemand verlassen worden und denkt darüber nach, ob er generell noch weiterleben will. Die Leute sehen den Albumtitel „Loud like Love“ und denken „Aha, alles klar, Liebeslieder.“ Ich möchte betonen, dass dies nicht der Fall ist. Oder, dass es auf andere Weise der Fall ist. Die Liebe besteht für mich nicht nur aus dem ersten Rausch der Verliebtheit und dem wohligen, behaglichen Gefühl der Kameradschaft. Liebe kann auch sehr gewalttätig, brutal und irre sein. Die Liebe kann alles und jeden zerstören, nicht zuletzt dich selbst. Die neuen Songs beinhalten ohne Zweifel mehr Drama als Optimismus.
Psychologen würden wohl zu dem Schluss kommen, dass Du auf dem „Loud like Love“-Album die Trennung von der Fotografin Helena Berg, Deiner langjährigen Freundin und Mutter Deines fast achtjährigen Sohnes Cody, verarbeitest.
Molko: So gut wie alles, was ich schreibe, entspringt der persönlichen Erfahrung, überwiegend besitzen die Songs ein Art Beichtcharakter. Zugleich jedoch benutze ich Filter und entfremde Personen und Situationen, damit es für den Hörer nicht so aussieht, als würde ich meine schmutzige Unterwäsche in der Öffentlichkeit waschen. Denn so etwas halte ich für reichlich unwürdig.
Viele Musiker sagen, sie empfinden das Songschreiben als Therapie, und oft nimmt man denen das nicht ab. Bei Dir ist das anders.
Molko: Das Schreiben ist für mich eine Entdeckungsreise. Es macht mich klüger und stärker meiner Selbst bewusst. Ich gelange durch die Arbeit an Gedanken, die mir ohne das Songschreiben nie gekommen wären.
Du warst ein unglückliches Kind, ein depressiver Jugendlicher. Wie sehr bist Du heute mit Dir im Reinen?
Molko: Es ist ein angenehmer Gedanke, mir vorzustellen, ich befände mich auf einem Pfad in Richtung Glück und Zufriedenheit. Ich würde gerne meinen persönlichen Frieden finden, doch dazu brauche ich mehr als nur meine kreative Arbeit.
"Vater werden war eine Riesensache. Ich habe mit den Drogen aufgehört"
Was denn?
Molko: Keine Ahnung. Vielleicht Beziehungen mit Menschen ohne Tumulte und Probleme.
Fängt Dein Sohn an, Dir Fragen zu Deinen Texten zu stellen?
Molko: Er liebt unsere Musik, und ich weiß nicht, wie viel er schon versteht. Er hat seine eigenen Auffassungen darüber, wovon die Songs handeln. Ich will ihn in seiner Phantasiewelt lassen und plane nicht, ihm die Texte in nächster Zukunft zu erklären. Ich finde es wichtig, dass ein Kind seine Unschuld so lange wie möglich behält.
Hat Dich der Junge verändert?
Molko: Natürlich. Massiv. Er hat keinen Einfluss auf mich als Songschreiber, aber er hat mein Leben, auch meinen Lebenswandel, radikal verändert. Vater zu werden war eine Riesensache. Ich habe zum Beispiel mit den Drogen aufgehört.
Rock im Pott 2012
1/66
Trotzdem spielt die Sucht auf dem Album eine Rolle.
Molko: Ja. „Bosco“ handelt von zwei Menschen, die sich sehr lieben. Diese Liebe wird durch eine Sucht komplett zerstört. Das finde ich unheimlich tragisch und schrecklich.
Und die Zeile „Knock me off my Feet like Heroin“, setzt sie Eure Tradition fort, Drogenanspielungen in Songs unterzubringen?
Molko: Ach nein, das ist mir zu billig. Der Satz ist einfach eine Metapher über die Wirkung, die ein Mensch auf einen anderen hat. Hier geht es um einen Menschen, der dich von den Füßen holt, zur Raserei und zur Besinnungslosigkeit bringt.
Euer vorheriges Album „Battle for the Sun“ war eine Art Neuanfang, es war Euer erstes mit dem neuen Schlagzeuger Steven Forrest, der sich inzwischen in der Band etabliert hat. Kann man sagen, dass Euch die Arbeit an „Loud like Love“ leicht fiel?
"Ich fühle mich in dieser Band immer noch wie ein großes Kind"
Molko: Nein, das kann man nicht sagen. Es war schwierig. Aus verschiedenen Gründen hatten wir die Arbeit unterteilt. Die erste Hälfte der Songs haben wir schon 2012 eingespielt, die zweite Hälfte nach einer Pause dann 2013.Zusammen mit unserem Produzenten Adam Noble hatten wir die Latte für die zweite Hälfte verdammt hoch gelegt, was uns unter Druck setze. Noch mal möchte ich so nicht arbeiten.
Im Video zu „Too many Friends“ spielt der Schriftsteller Bret Easton Ellis einen Erzähler. Magst Du sein berühmtestes Buch „American Psycho“?
Molko: „American Psycho“ war selbst mir zu krass und zu krank, und das will was heißen (lacht). Ich habe als Teenager „Less than Zero“ und „Rules of Attraction“ gelesen, diese beiden Romane haben mich damals unheimlich stark angesprochen. Auch sein Quasi-Horrorbuch „Luna Park“ mochte ich sehr, da war er endlich mal lustig.
Wie lustig war für Dich denn Dein 40. Geburtstag im vergangenen Dezember?
Molko: Der Spaß hielt sich in Grenzen. Die Fans haben eine große Feier gemacht, was ich sehr süß fand. Sie hatten eindeutig mehr Spaß als ich. Ich war nie der große Geburtstagsmensch, und ich habe eigentlich gar nichts gemacht.
Weil Du nicht alt werden willst?
Molko: Ich mache mir einfach nichts aus Geburtstagen. Die sind wie Silvester – man denkt, es muss besonders toll werden, und dann endet es immer in einer Enttäuschung. Auf das Altwerden als solches freue ich mich nicht, aber ich habe auch keine Angst davor. Wenn es richtig gut läuft, speziell auf Tournee, dann fühle ich mich in dieser Band immer noch wie ein großes Kind.
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