Köln. Ein furioses Konzert hat die Band Placebo am Freitagabend in der fast ausverkauften Kölnarena gespielt. Brian Molko, Stefan Olsdal und Steve Forrest bewiesen eindrucksvoll, dass sie zu den besten und prägendsten der Jetzt-Zeit zählt.
Placebo – so nennen Mediziner Scheinarzneimittel, die keinen Wirkstoff enthalten – und häufig trotzdem Wunderdinge vollbringen. Weil der Patient dran glaubt. Psychokram. Der Auftritt von Placebo am Freitagabend in der Kölnarena war alles andere als das. Gefühlsecht – und kein Schein. Die Band spielte ein Konzert mit voller Dröhnung. Der Wirkstoff ist rezeptfrei: Rock’n’Roll.
Seit 15 Jahren musizieren Brian Molko und Stefan Olsdal nun schon gemeinsam. Mit wechselnden Partnern. Olsdal, dieser hünenhafte Schwede, der so lang ist wie ein Billy-Regal hoch. Mit Aufsatz. Und Molko, der charismatische Kosmopolit mit der unverwechselbaren, zerbrechlichen, manchmal weinerlichen und doch so kraftvollen Stimme, der seine androgyne Phase abgeschlossen hat. Nur der Kajalstrich erinnert noch daran – und auch der fließt bei zunehmender Konzertdauer mit dem Schweiß weg. Seit 2008 komplettiert Steve Forrest das Trio, ein 23 Jahre junger Schlagzeuger, der – sieht man einmal von seiner Ganzkörpertätowierung ab, auch ein Backstreet Boy sein könnte und die Kapelle ebenso präzise wie gewaltig nach vorne treibt.
Die Show: Effektvoll, aber nicht überdreht
Sechs Studioalben haben Placebo inzwischen aufgenommen, vier von ihnen schafften es in den deutschen Charts unter die Top 5. Millionen Tonträger hat die Band, die 2009 den MTV Award als „Best Alternative Act“ erhielt, verkauft. Anfangs im Vorprogramm von David Bowie und U2 unterwegs, füllen sie heute als Headliner die großen Hallen, Festivalgelände und Stadien. Auch die Kölnarena war am Freitagabend nahezu ausverkauft. Die Atmosphäre: großartig. Die Stimmung: prächtig – obschon Placebo alles andere als eine Party-Kapelle sind, sondern eine gereifte, im besten Sinne erwachsene und anspruchsvolle Band. Eine exzellente Live-Band obendrein. Die Bühnenshow: effektvoll, aber nicht überdreht. Großartig die großflächigen Live-Bilder im Retro-Style. Komplett schwarz-weiß. In Farbe gibt’s Placebo nur auf der Bühne, nicht auf der Leinwand.
Meister der Melancholie
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Der Auftritt beweist eindrucksvoll: Alle anfänglichen Versuche hilfloser Musikkritiker, die Band mit Oasis und Blur in eine Schublade zu stecken, gingen völlig an der Sache vorbei. Eher schon kann man die Meister der düsteren Melancholie in der Nähe von Radiohead und Muse verorten. Auch vom Genie der Smashing Pumpkins lässt sich vieles wiederfinden. Mit „For What It’s Worth“ und „Ashtray Heart“ steigen Molko & Co. steil ein; beim Megahit „Every You Every Me“ kocht das Kölner „Henkelmännchen“ erstmals. Mit „Song To Say Goodbye“ endet der erste Teil nach 80 Minuten standesgemäß. Doch noch ist es zu früh, um „Auf Wiedersehen“ zu sagen. Zweimal noch kommen Placebo zurück. Fünf weitere Songs umfassen die Zugaben. Vor allem die erste mit „Bright Lights“, „Special K“ und „The Bitter End“ gerät furios.
Eine tolle Band. Ein tolles Konzert. Und alles echt. Kein Placebo.