Essen. In dieser Woche läuft ein neuer Versuch an, die Kleist-Novelle “Michael Kohlhaas“ auf die Leinwand zu bringen. Der französische Filmemacher Arnaud des Pallières, der bisher vor allem Dokumentationen gedreht hat, inszeniert Männlichkeit statt Fragen der Moral. Die Hauptrolle spielt Mads Mikkelsen.

Seit einiger Zeit erfreut sich Heinrich von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ wieder großer Popularität. Es ist wie damals nach ’68, als die Proteste der Studentenbewegung doch keine Revolution auslösten und manche in die Illegalität abdrifteten. Diese Entwicklung spiegelte sich in zwei höchst unterschiedlichen „Kohlhaas“-Verfilmungen, Volker Schlöndorffs vom Pop geprägter Kino-Adaption und Wolf Vollmars bedächtigem Fernseh-Mehrteiler.

Nun, in den Zeiten der permanenten Krise, sind es neben vielen Theatermachern, die Kleists Erzählung als Spiel von den Möglichkeiten und Grenzen des Aufbegehrens auf die Bühne bringen, wieder zwei Kinoregisseure, die Kohlhaas für sich entdeckt haben.

Vor einigen Wochen probte Aron Lehmann mit der deutschen No-Budget-Produktion „Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ gleich auch den Aufstand ge­gen die Konventionen des Kinos. Auf dieses eher anarchische Experiment folgt nun mit Arnaud des Pallières’ nach Frankreich verlegter Adaption ein radikaler Versuch in Zeitlosigkeit.

Natur wird zum Spiegel des Menschen

Es ist noch nicht lange her, dass französische Intellektuelle über den „kommenden Aufstand“ nachdachten und Stéphane Hessel mit „Empört Euch!“ Millionen aus der Seele sprach. Doch all das hat keine Spuren in des Pallières’ „Michael Kohlhaas“ hinterlassen. Der französische Filmemacher, der bisher vor allem Dokumentationen gedreht hat, blendet in seiner Annäherung an die Geschichte des um sein Recht betrogenen Pferdehändlers die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen unserer Zeit aus.

Das Frankreich des 16. Jahrhunderts, durch das Mads Mikkelsens Michael Kohlhaas in seiner Gerechtigkeitswut brandschatzend und mordend zieht, hat bei des Pallières nichts Pittoreskes. In seiner Kargheit wirken die südfranzösische Cévennen genauso ar­cha­isch wie der Mann, der dem Adel und der ganzen Welt den Krieg erklärt, nachdem ihn ein junger Baron (Swann Arlaud) unrechtmäßig um zwei seiner Pferde gebracht hat. Des Pallières’ Blick auf die Wälder und die Gebirgszüge, die Felder und die alten Festungen ist der ei­nes Dokumentarfilmers.

Die Natur wird zum Spiegel des Menschen, der Mensch zum Spiegel der Natur. Kohlhaas’ Kampf um Gerechtigkeit ist wie die Landschaft, in der er ausgetragen wird, der Zeit, ihren Verhältnissen und Moden enthoben. In des Pallières’ Welt verblassen Fragen nach Recht und Gerechtigkeit vor der überwältigenden Macht reiner Männlichkeit. So wie Mads Mikkelsen ihn spielt und des Pallières’ ihn inszeniert, gleicht Kohlhaas einer Naturgewalt. Er ist seinen Gegnern, dem feigen und hinterhältigen Baron wie dem opportunistischen Gouverneur, den Bruno Ganz als Inbild des aalglatten Politikers verkörpert, weit überlegen.

Hommage an den Western

Neben Kohlhaas’ scheinbar naturgegebener Erhabenheit betont des Pallières auch immer wieder dessen ungeheure erotische Ausstrahlung. Nicht nur seine Frau Judith (Delphine Chuillot) steht ganz in deren Bann und opfert sich, auch die von Roxane Duran gespielte Prinzessin, die ihm einen Ausweg anbietet, vergeht regelrecht vor Begehren.

Von Kleists verblüffender Modernität, der Zerrissenheit und seinem Zartgefühl, das die Novelle erfüllt und zum Schillern bringt, bleibt in dieser französischen Hommage an den Western und seine stoischen Helden nichts übrig. Sie weicht einer ebenso faszinierenden wie fragwürdigen Männerphantasie.

Allein in den überraschend komplexen und ambivalenten Szenen zwischen Kohlhaas und seiner Tochter Lisbeth (Mélusine Mayance), die ihn bei seinem Feldzug begleitet und zur Zeugin des von ihm angerichteten Unrechts wird, blitzt in diesem Übermenschen-Epos noch so etwas wie Menschlichkeit auf.