Salzburg. Altes Testament, Vivaldi und Hebbel: gleich dreifach taucht „Judith” bei den Salzburger Festspielen auf. Diesmal drastisch inszeniert, provokant und irreal. Es gibt Gebrüll und Gerenne, verfremdeten Stimmen und man erfährt: Wer die Macht hat, will Gott sein. Gilt das auch für Judith?
Wenn man aus dem Theater kommt, voller Unruhe, angeregt und irritiert und schon auf dem Weg zu neuen Gedanken: Dann wird es wohl Regietheater gewesen sein. Zwei Tage nach Daniel Kehlmanns geschliffenem Ausfall gegen die widerborstige Gattung war bei den Salzburger Festspielen ein Klotz von Regietheater zu sehen – aggressiv, laut, berstend von inspirierenden Fragen.
Genau genommen gehörte ja schon Christof Loys „Theodora” dazu: Ein Oratorium, gespielt statt nur gesungen – das hatte Händel so nicht gemeint. Gegen Sebastian Nüblings „Judith” ist „Theodora” aber sanft aufrührerisch. „Judith” ist eine Kreation, wie sie bei der Ruhr Triennale entstehen kann – ein Wechselspiel der Künste, die einander durchdringen und so zu etwas Neuem werden. Niemand sagt, dass das immer gelingt, dafür gibt es in der Kunst nie eine Garantie.
Macht und Gewalt
Die Musiker
Capella Triumphans
Vorzügliche Musiker bescheren einen immer wieder gebrochenen Genuss. Angelika Lenter (Sopran), Silke Gäng (Mezzo), Christopher Kaplan (Tenor) und Tibor Brouwer (Bass) ziehen als schwarzer Chor über die Bühne, Bariton Matias Tosi singt volltönend Holofernes. Die Capella Triumphans wurde 2008 von der Geigerin Annelie Gahl gegründet, die musikalische Leitung hat Lutz Rademacher.
Dreimal Judith. Drei fiebrige Blicke in Welten, in denen Macht und Gewalt ihren Raum haben. Das Alte Testament und sein rächender Gott, Vivaldi auf seinen Spuren. Hebbel und die grelle Gegenwart: Es bleiben drei Welten, der Mythos hat viele Gesichter.
Die Apokryphen berichten, dass Judith ihr Volk vor den Belagerern rettete. Sie ging zu den Feinden, benutzte ihre Schönheit und ihre Jungfräulichkeit, um den Anführer Holofernes zu verführen, und schlug dann dem Schlafenden den Kopf ab.
Zwischen Sex und Gewalt
Vivaldis barockes Oratorium „Juditha triumphans” folgt der Bibel, bei Hebbel aber ist das Vertrauen in Gott längst Zweifeln und Ängsten gewichen. Man könnte das auf sich beruhen lassen, fast 170 Jahre danach. Wenn aber dieser Hebbel regietheaterlich behauen und zerstückt wird, wenn er nicht nur mit Vivaldis strahlender Musik konfrontiert wird, sondern auch mit einer rasenden Anne Tismer, die die Geschichte von Sex und Gewalt auf ganz andere Weise erzählt: drastisch und kreischend, dabei in Eimern eine rosa Masse anrührt, aus der sie Plastikmännerköpfe gießt, lauter Holofernesse, schon entmachtet – dann gleitet das Spiel in böse, irreale Räume. Und regt auf. Wie die biblische Geschichte; auch diese Judith kannte keine Scham.
Am Anfang schwillt sehnsüchtig eine Geige. Auf der schwarzen Bühne ist ein Guckloch wie ein Verlies, davor schwebt sehr langsam ein Holzvorhang auf und ab; unten gibt er den Blick frei auf einen kampfbereiten Männertrupp, oben auf drei wartende Frauen. Judith Stephanie Schönfeldt spricht in historischem Kostüm Hebbels Text, Judith Tajana Raj singt mit vollem Mezzo Vivaldis Arien und Judith Anne Tismer wirft als schwätzende Sexmaus Umweltschutz, Dritte Welt und Waffenhandel in die Runde.
Wer will Gott sein?
Ja, heiliger Kehlmann! Es ist ein Gebrüll und ein Gerenne, wunderbare Stimmen werden verfremdet durch Hall und schräge Saxofontöne, ein Countertenor im schwarzen Reifrock symbolisiert politisch ziemlich unkorrekt den Mann in der Frau und man erfährt: Wer die Macht hat, will Gott sein. Gilt das auch für Judith?
Und dann geschieht etwas im Chaos. „Es gibt keinen Gott, aber ich bin nicht traurig darüber, ich bin ein Kind des Satellitenfernsehens”, hat Anne Tismer gebrüllt, und plötzlich, halbe Stunden später, fällt aus dem wimmelnden, hin- und her rollenden Spiel wie ein Blitz die Erkenntnis: dass es genau diese käsige Selbstgewissheit ist, die die biblische Judith penetrant macht und der Hebbel, wir erkennen es ungern, eine neue und kluge Richtung gegeben hat.
Hebbel allein aber hätte das heute kaum noch vermocht.