Bayreuth. In Bayreuth ist der zweite Teil von Wagners “Ring“ an die Wiege der Ölförderung verlegt worden. Frank Castorf und Bühnenbildner Aleksandar Denic verorten ihn in einer Gesellschaft, die auf der Kippe steht. Das Publikum ist mit dem Ambiente zufrieden. Sänger und Orchester auf Weltspitzenniveau.
Brünnhildes Felsen ist eine brennende Öltonne in Baku. Frank Castorf und Bühnenbildner Aleksandar Denic verorten in Bayreuth den zweiten Teil von Wagners "Ring"-Tetralogie in einer Gesellschaft, die auf der Kippe steht. Vom äußersten Westen der USA im "Rheingold" reisen die Götter in den Osten und landen an der Wiege der Ölförderung. Das Publikum nimmt diese "Walküre" fast ohne Buhs und mit Bravos für die Regie auf. Die Sänger und Dirigent Kirill Petrenko werden stürmisch gefeiert, zu Recht: Die musikalische Leistung ist Weltspitzenniveau.
Wenn "Winterstürme weichen dem Wonnemond" erklingt, wird der im "Rheingold" allgegenwärtige Bühnen-Bildschirm auch hier lebendig. In dem Moment, wo Siegmund das Schwert aus dem Stamm zieht, gelingt im Film die erste Ölbohrung. Das bedeutet Technik, Industrialisierung, Revolution. Doch von all den Umbrüchen wird die archaische Ordnung des "Walküren"-Personals nicht berührt. Fricka setzt das heilige Recht der Ehe durch, Wotan seine gott-väterliche Autorität.
Bis der rote Stern überm Förderturm leuchtet
Aleksandar Denic hat eine Ölförderpumpe gebaut, die wie eine orhodoxe Holzkirche aussieht. Diese bizarre Industrie-Architektur war damals tatsächlich üblich, hat Castorf im Vorfeld erklärt. Strohballen und Hühnerstall stehen für eine noch wilde ländliche Ordnung, in der Blutrache und Inzest an der Tagesordnung sind. Hunding als Hausherr und Wotan mit Fricka als Patriarchen-Paar vertreten ein brutales System der Abhängigkeiten. Dank des Öls werden aus Leibeigenen Arbeiter, und die Walküren halten reiche Ernte im Bürgerkrieg, bis der rote Stern über dem Förderturm leuchtet.
Neben der faszinierenden Raumlösung ist es vor allem die Lichtregie, die durchweg fahl-exotische Bilder schafft, in denen Castorf Wagners doppelte Dreiecksbeziehung als Kammerspiel ansiedelt. Das Orchester erhält jetzt mehr Gewicht, denn Maestro Petrenko psychologisiert die Partitur mit größter Raffinesse. Schon im Vorspiel wird Siegmunds Verfolgung zu einem rasend herzklopfenden Gewebe aus Panik, das den ganzen Abend grundiert. Petrenko arbeitet mit feinsten dynamischen Abstufungen, so dass auch der Walkürenritt nicht aus dem Graben gebolzt wird, sondern voller Angstlust über die Bühne echot.
Johan Botha und Anja Kampe sind das Sänger-Traumpaar
Mit Johan Botha als Siegmund und Anja Kampe als Sieglinde hat Bayreuth ein neues Sänger-Traumpaar. Botha, der seine Tenor-Karriere am Theater Hagen begann, kann lyrischen Schmelz und Heldenglanz bis in die höchsten Höhen unangestrengt verschmelzen. Anja Kampe singt mit inniglicher Strahlkraft.
Und natürlich ist es der Abend von Wolfgang Koch als Wotan, der die Monster-Partie mit Genuss in allen Extremen ausreizt, vom fast farblosen Sprechgesang bis zur weichen Kantilene. Franz-Josef Selig ist aktuell nicht nur als Daland auf dem Grünen Hügel ein Garant für beste Gesangskultur, sondern auch als dunkel-bösartiger Hunding.
Catherine Foster als unglaubliche Brünnhilde ausgebuht
Gleichzeitig zeigt die Premiere auch, wie ungerecht das Bayreuther Publikum sein kann. Catherine Foster ist eine unglaubliche Brünnhilde, mit kostbarem dunkelsüßen Timbre, die eben nicht brüllt, sondern auch leise singt, wo Wagner ein Piano in die Partitur geschrieben hat - was übrigens technisch ziemlich schwer ist. Dafür buht ein Teil der Besucher sie nach dem zweiten Akt aus - als wäre man im Zirkus.
Was trägt Merkel bei den Festspielen?
Castorf verzichtet in dieser "Walküre" anders als im "Rheingold" auf Interpretationen. Er stellt einen archaischen Konflikt in die exotische Kulisse in einer brutalen Gesellschaft, die sich gerade von einem autoriären System ins nächste kämpft. Dass dies atmosphärisch so dicht gelingt, ist mehr als man von "Walküren"-Inszenierungen erwarten darf.