Bayreuth. Bombastische Opern stehen bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth im Mittelpunkt. Was abseits der Bühnen passiert, berichtet Kultur-Redakteurin Monika Willer in ihrem Festspiel-Tagebuch.
Mittwoch: Auf der Suche nach der einzigen "Ring"-Karte
Großer Schreck in der Morgenstunde. Die "Ring"-Karte ist weg! Ohne Tickets gibt es keinen Einlass ins Festspielhaus, da sind die Wagners eisern. Zumal auch die Kanzlerin immer noch sozusagen mit im Ring ist, deshalb muss man schon an den Pforten der heiligen Hallen den Sicherheitskräften seine Einlassberechtigung vorzeigen.
Es gibt nur eine einzige "Ring"-Karte, auf der alle vier Vorstellungen verbucht sind. Meine hat theoretisch ihren festen und sicheren Platz im stets geschlossen zu haltenden Reißverschlussfach der Handtasche, und ungefähr 30 Mal am Tag kontrolliere ich, ob sie noch da ist.
Heute morgen will ich es mal ein bisschen lockerer angehen lassen, da fällt mein Blick auf das Reißverschlussfach. Offen. Leer. Muss ich jetzt etwa zu dem unsympathischen Schwarzhändler? Der strolcht krakelend um den Grünen Hügel herum und schwatzt alten Leuten, denen es zu heiß wird, die Karten ab, um sie zu astronomischen Preisen an Japaner und Chinesen zu verticken. Aber was ist das? Unten auf dem Boden des Kleiderschranks schimmert etwas Weißes. Meine Karte! Das ist ja gerade noch mal gut gegangen.
Montag: Wagner im Ladekabel-Salat
In der Reisetasche der Wagnerianerin vermutet man Lippenstift, Haarpflegeprodukte und eine Auswahl erlesenen Geschmeides. Schön wärs. Die Reisetasche einer schreibenden Bayreuth-Pilgerin ist dagegen zugestopft mit Ladekabeln.
Eins für den Laptop, eins für die Kamera, eins für das Handy, eins für den Tablet-PC - und leider keins für die schicke neue Tastatur, auf die man den ultramodernen Tafel-Rechner stecken kann, damit er sich in eine Mini-Schreibwerkstatt verwandelt, und die ich extra für Bayreuth gekauft habe. Allerdings hat mir dabei keiner gesagt, dass auch eine Tastatur aufgeladen werden will, bevor sie in Gang kommt.
Der Laptop hat inzwischen durch Altersschwäche bedingte böse Aussetzer, die Tastatur-Frage wird also drängender. Siegfried sucht Fafners Höhle, ich suche den nächsten Elektronik-Markt, und zwar vergeblich. Da kommt man schon ins Grübeln.
Sollte ich einmal einen "Ring des Nibelungen" erfinden müssen, wäre Alberichs machtvoller Fingerring kein Schmuckstück, sondern ein Universal-Ladekabel, das für alle gebräuchlichen Multimedia-Geräte passt. Und das ganze Rheingold wäre ein Witz gegen die Schätze, die wir damit verdienen könnten.
Samstag: Klimaanlage in Bayreuth? Leider verboten
Wie haben die Wagnerianer das zu Kaisers Zeiten nur ausgehalten? In Reifröcken und Vatermördern einen "Ring" durchstehen - mörderisch. Heutzutage haben es zumindest die Musiker und der Dirigent gut. Die dürfen in Shorts spielen und den Takt angeben - durch den abgedeckten Orchestergraben sieht man sie nicht.
Unsereins versucht dagegen, bei gefühlten 50 Grad im Saal, züchtig und luftig bekleidungstechnisch irgendwie in Einklang zu bringen. Eine Klimaanlage darf bekanntlich wegen der Akustik nicht eingebaut werden. Fast jedes Sauerstoffatom hat sich nach zweieinhalb Stunden "Rheingold" verflüchtigt.
Und so ist das einzige Lüftchen, das durchs Parkett weht, ein fettes Miasma aus Eau de Schweiß, vermischt mit Parfüm und dem Odeur von Mottenkugeln aus den schwarzen Anzügen der betagteren Herren.
Vor lauter Hitzewallungen habe ich schon alle Oberteile mit Kragen zurück in den Koffer verbannt. So kann mir wenigstens der Hintermann seinen heißen Atem in den Nacken pusten.
Freitag: Handtaschen, mit Klebeband an den Arm geflanscht
Handtaschen sind ein unverzichtbares Accessoire auf dem Grünen Hügel. Doch nur die unerfahrene Wagnerianerin wird bei der Auswahl allein an modische Aspekte denken. Clutches zum Beispiel, jene henkellosen Gebilde, die man sich unter den Arm klemmt oder im Fall der Kanzlerin gelegentlich mit unsichtbaren Klebestreifen ans Handgelenk flanscht, erweisen sich als schwere Fehlgriffe, will man "Holländer" und "Rheingold" ohne Nervenkrise überstehen.
Denn wohin mit der Clutch während der Vorstellung? Auf dem Schoß stört sie. Auf dem Holzboden rutscht sie ständig dem Nebenmann vor die Füße, ohne dass man sie zu packen kriegt. Und am Bratwurststand ist man völlig überfordert, damit die berühmte Bayreuther Delikatesse unfallfrei zu balancieren.
Wenigstens das Problem habe ich nicht. Denn meine Handtasche ist eher ein Sack mit Griffen, lässt sich bei Bedarf über die Schulter schwingen und bietet genügend Stauraum für Hustenpastillen, Taschentuch und ein diskretes kleines Handtuch, mit dem sich damenhaft die Schweißbäche von der Stirn tupfen lassen. Schönheit liegt bei Wagners eben nicht nur im Auge des Betrachters, sondern vor allem in der reibungslosen Funktion.