Duisburg.. So brav sie ausschauen, so herb haben sie das Publikum schon konfrontiert. Inzwischen aber holen Gilbert & George ihre künstlerischen Provokationen ganz einfach aus den blutigen Schlagzeilen der berüchtigten englischen Presse. Eine Ausstellung in Duisburgs Küppersmühle erzählt davon.

Wenn man diese beiden liebenswürdigen, distinguierten Herren in ihren maßgeschneiderten Tweed-Anzügen irgendwo zwischen oliv- und resedagrün sieht, traut man ihnen gar nicht zu, dass sie die Kunstwelt mal mit Großaufnahmen von Blut, Urin und Sperma geschockt haben oder mit ihrer eigenen Nacktheit.

Nun, jetzt stellen die beiden Konzeptkünstler, die einer Anekdote zufolge 1967 in London zusammenfanden, weil der Brite George als einziger weit und breit das grottenschlechte Englisch des gebürtigen Italieners Gilbert ertragen konnte, mit ihrer neuen Serie „London Pictures“ aus, wie andere mit dem Schock arbeiten.

Gewitter aus Schlagzeilen

70 dieser Bilder, die je nach Größe aus 4 bis 55 plakatgroßen Einzelbildern zusammengesetzt sind, stellt das Ehepaar ab dem kommenden Mittwoch im Duisburger Museum Küppersmühle aus.

Es ist ein Gewitter aus Schlagzeilen, das einem da entgegendonnert, lauter Plakate in strenger Schwarz-Weiß-Rot-Manier, wie man sie vom Boulevard kennt. Dahinter, als wären in diesen Plakaten Löcher oder Milchglasscheiben, sind stets die beiden Künstler zu erkennen, mit Gesichtsausdrücken, die zwischen Entsetzen, Empörung und Mitleid wechseln.

Darübergelegt sind simpelste Schlagzeilen – und es sind lauter echte Überschriften, mit denen die Londoner „Tabloids“ für ihre verderbliche Ware auf Kundenfang gehen, mit Plakaten und Ständern auf der Straße, von denen die beiden über sechs Jahre hinweg insgesamt 3712 Stück gesammelt haben, „mitgenommen oder geklaut“, wie sie unbefangen erzählen.

Sie waren zunächst einmal nur fasziniert von der Reaktion der Passanten auf diese Plakate, die im Deutschen in hübscher Verkehrung der Tatsachen „Händler-“ oder „Zeitungsschürzen“ heißen. Es sind ja in Wahrheit Schaufenster, und die Menschen „sind angezogen und abgestoßen davon zugleich“, sagt George Passmore.

Spielarten des Schreckens

Er und Gilbert haben die Schlagzeilen zunächst einmal nach Kernwörtern wie „Leben“, „Messer“, „Mädchen“ oder „Drogen“ sortiert. Verschiedene Schlagzeilen mit demselben Kernwort ergeben nun in ihren Fotomontagen ein Bild, und man erkennt mit wenigen Blicken die geringe Variationsbreite der Schlagzeilen, manchmal geht es um ein Baby, das schon vier Tage lang vermisst wird, manchmal ist ein Lehrer von seinem schizophrenen Sohn umgebracht worden oder die Hälfte der Schüler hasst das Schulessen. Aber meist jagt die Polizei irgendwelche Vergewaltiger oder es werden Morde der unterschiedlichsten Spielarten entdeckt, die in der Zusammenballung wiederum eine ganz eigene Ödnis entwickeln.

Bitte keine Botschaft

Gilbert & George bannen in diesen Bildern ein Stück Realität und menschliche Anteilnahme daran, aber auch die serielle, industrielle Ausbeutung eben dieser Wirklichkeit Londons. „Die Leute glauben“, berichtet Gilbert von Ausstellungen der Bilder, „solche Plakate gebe es nur in London. Aber das ist Quatsch. Ich habe neulich noch so eines in Berlin gesehen. Es ist wie mit den Bäumen an der Straße. Wenn man die Leute fragt, die täglich daran entlang gehen, dann sagen sie ja oft: ,Da stehen keine Bäume. Mein’ ich jedenfalls.’“

Sie wollten, sagen die Künstler, keine Botschaft verbreiten – aber das die Besucher, wenn sie aus dem Museum herausgehen, „ein winziges bisschen verändert sind.“ Das wird sich angesichts der Massivität ihrer Mittel kaum vermeiden lassen. Zur Erholung empfiehlt sich aber auch ein Gang durch die ständige Sammlung in den oberen Etagen des Museums.