Berlin. Für die deutsche Musikindustrie geht es nach harten Krisenjahren kontinuierlich leicht aufwärts. “Wir steuern 2012 auf eine schwarze Null zu“, sagte der Geschäftsführer des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI), Florian Drücke. “Wir gehen davon aus, dass das Digitalgeschäft die physischen Rückgänge kompensieren kann.“
Die deutsche Musikbranche hat die Umbrüche durch die Digitalisierung gemeistert und ist aus den tiefroten Zahlen raus. "Wir steuern 2012 auf eine schwarze Null zu", sagte der Geschäftsführer des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI), Florian Drücke. "Wir gehen davon aus, dass das Digitalgeschäft die physischen Rückgänge kompensieren kann." Der Branchenexperte Tim Renner sieht derweil noch reichlich Aufholbedarf beim Digitalgeschäft und forderte für mehr Wachstum eine umfassende Reform der Verwertungsgesellschaft Gema. Die unabhängigen Labels plädieren für den Ausbau von Online-Radioformaten, um mehr Präsentationsmöglichkeiten für ihre Bands und Künstler zu bekommen.
Wachstum in der Musikbranche wieder denkbar
2011 hatte der Musikmarkt erstmals seit 15 Jahren keine Umsatzverluste verzeichnet. Beim Gesamtumsatz aus allen Musikverkäufen und Einnahmen gab es ein leichtes Plus von 0,1 Prozent, vor allem dank des stark wachsenden Digitalmarktes. 2010 hatte die Branche noch ein Minus von 4,6 Prozent verbucht. Drücke betonte: "Wir befinden uns in einer Phase, in der sogar wieder Wachstum denkbar ist, sofern es keinen Einbruch beim physischen Produkt gibt." Physische Produkte haben aktuell einen Marktanteil von 78 Prozent, Streaming macht bisher erst drei Prozent des Gesamtumsatzes aus: "Da ist deutliches Wachstumspotenzial."
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Der Berliner Musikunternehmer Renner formulierte es deutlich kritischer: "Deutschland ist ein digitales Schwellenland, wenn nicht sogar Entwicklungsland", sagte er im dapd-Interview. Weltweit liege der Digitalanteil im Markt bei 39 Prozent, in Deutschland seien es im ersten Halbjahr 2012 dagegen erst 22 Prozent gewesen. "Wir sind auf dem richtigen Weg, aber wir haben noch viel aufzuholen."
Gema-Reform Schlüsselrolle für weitere Entwicklungen
Streamingdienste seien in Deutschland viel später in den Markt eingetreten als in anderen Ländern. Zudem werde ihr Wachstum dadurch behindert, dass es keine Einigung mit der Verwertungsgesellschaft Gema über die Vergütung für werbefinanzierte Streams gebe, die 85 Prozent der Nutzung ausmachten. In einer Reform der Gema sieht der frühere Deutschland-Chef von Universal Music eine Schlüsselrolle für die weiteren Entwicklungen im digitalen Musikmarkt.
Renner kritisierte die Organisation der Verwertungsgesellschaft: "Was macht die Gema unter der Kontrolle des Patentamtes und des Kartellamtes, und wieso steht sie nicht unter der Kontrolle einer kulturellen oder wirtschaftlichen Institution?" Zudem sei die Gema mit 68.000 Mitgliedern und starrem Vereinsrecht zu unflexibel: Es können nur Vollmitglieder abstimmen und mitentscheiden. Dazu müssen sie ferner persönlich anwesend sein. Diese strukturellen Probleme könne die Gema indes nicht allein lösen.
Politische Unterstützung für Reform gefordert
Der Chef von Motor Entertainment forderte: "Die Gema braucht dringend politische Unterstützung und die Intervention einer Politik, die sie in die Lage versetzt hat, jetzt nicht schnell genug auf digitale Anforderungen reagieren zu können." Eine umfassende Reform der Gema könnte seiner Ansicht nach "eine ganz entscheidende Aufgabe des nächsten Kulturstaatsministers werden". Auf jeden Fall gelte: "Man muss der Gema helfen, sonst schadet man den Urhebern."
Der Verband unabhängiger Musikunternehmen (VUT) erwartet unterdessen für 2012 wie im Vorjahr ein Umsatzplus von rund fünf Prozent. "Der Marktanteil des Independentsektors ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen", sagte der VUT-Vorstandsvorsitzende Oke Göttlich im dapd-Interview. Ein Grund seien die neuen Geschäftsmodelle im Onlinemarkt. Verkaufs- und Streamingplattformen wie iTunes oder Spotify seien "indieaffiner als der herkömmliche Handel" und böten dem Nutzer auf direktem Weg Zugang zu Alben, die "nicht den Weg in den Media Markt gefunden haben".
Präsentationsflächen für Labels und Künstler sollen erhöht werden
Streamingservices wertet Göttlich zudem als unverzichtbares Instrument für Nachwuchskünstler. "Ich zähle Spotify eher zu einem Radio- als zu einem Handelsformat", betonte er. In diesem Sinne sei Spotify "bezahlte Promotion": "Du bekommst schneller und direkter mehr Geld für das Erreichen von mehr Leuten als du jemals über eine Radiostation bekommen würdest. Man kann heutzutage kaum ohne Streamingplattformen eine junge Band bekannt machen."
Als wichtigstes künftiges Ziel nannte der VUT-Vorsitzende eine "Erhöhung der Präsentationsflächen" für unabhängige Labels und ihre Künstler. Ein Thema seien dabei Internetradios wie Pandora, das aus lizenzrechtlichen Gründen bisher nur in den USA genutzt werden kann. Es gebe in Deutschland aufgrund ungelöster Fragen mit Verwertungsgesellschaften bisher nur wenige Online-Radioformate. "Das sind Geschäftsmodelle, die in Deutschland ausbaufähig sind, und auf die wir künftig setzen", betonte Göttlich. (dapd)