Essen. „Glück auf“ – es gibt mehr als den Steiger, der kommt: Hier kommt nämlich das „Liederbuch Ruhr“, das auch genau so heißt. Es ist ziegelsteindick, umfasst fast 200 Lieder, von vertonten Kämpchen-Gedichten über „Bottroper Bier“ und „Currywurst“ bis zu Helge Schneiders „Katzeklo“.
Das „Steigerlied“ ist nicht alles: Wer die Schlachtgesängen zwischen Wedau und Westfalenpark hört, kann sich nur zu gut vorstellen, wie viel, wie innig, originell und kämpferisch früher im Ruhrgebiet gesungen worden sein mag, von der Kaue bis zur Laube, von der Wiege bis zur Bahre.
Eine Ahnung davon vermittelt nun ein Sammelband, der so ziegelsteindick ist wie die Marktlücke, die er füllt: Das „Liederbuch Ruhr“, das der Duisburger Liedermacher Frank Baier und der Hamburger Musikredakteur Jochen Wiegandt zusammengetragen haben. Wie viele Lieder von der Straße mögen heute schon für immer vergessen sein? Es war höchste Zeit für diesen Band.
„Currywurst“ und „Katzeklo“
Er bietet vom frivol-fröhlichen „Aal am Kanal“ bis „Wo man Kohle fördert“ (zur Melodie von „Nordseewellen“) über 100 Lieder in Noten und Text. Das geht vom alten „Lob der Bergleute“ über das ironisch-aufmüpfige „Kruppianer Lied“ bis zum „Bottroper Bier“ (mit dem sich Jürgen von Manger seinen Reim auf Udo Jürgens’ „Griechischen Wein“ machte) und der legendären „Currywurst“.
Dieses „Liebeslied auf die geschnetzelte Phosphatrolle“ wurde zwar durch die Intonation von Herbert Grönemeyer bekannt. Es entstand aber 1982 am Bochumer Engelbertbrunnen, wo dem unvergessenen Diether Krebs und dem Komponisten Jürgen Triebel die Worte und Töne beim ortsüblichen Pappschalen-Mittagsmahl zuflogen. Später gab der Schlagertexter Horst Herbert Krause noch „seinen Senf dazu.“
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Auskünfte wie diese finden sich in dem über 200 Seiten starken Lexikon-Teil des Bandes. Hier wird erklärt, wie es zu den Liedern kam, hier finden sich zudem noch weitere 80 Lieder, freilich ohne Noten. Der Lexikon-Teil ist zwar alphabetisch geordnet, aber auch bester Schmökerstoff. Mit Erkenntnissen wie der, dass die Hütten- im Gegensatz zu den Bergleuten weniger gesungen haben, weder zu Hause noch auf der Straße. Hier ist auch mancher Grabstein errichtet, einer für das Essener Kneipengesangsoriginal Günni Semmler etwa („Wer weint, kriegt sein Geld zurück“). Es gibt Erläuterungen zu den Liedern (etwa zum Ärger, den sich Georg Kreisler mit seinem Hasslied auf „Gelsenkirchen“ einhandelte), aber auch schöne Anekdoten, wie sich zum Beispiel der amerikanische Gitarrengott Jimi Hendrix bei seinem letzten Konzert 1970 auf der Insel Fehmarn hinter der Bühne mächtig gedulden musste, bis das Popkabarett-Duo Witthüser & Westrupp aus dem Revier endlich die letzte seiner vielen Zugaben beendet hatte.
Traditionelles und bürgerbewegtes
Überhaupt: Neben traditionellen Liedern des Reviers sind die vielen Protestsongs aus der Bürgerintiativ-Bewegung der 70er- und 80er-Jahre ein großer Schwerpunkt des Bandes. Er bietet mit Helge Schneiders „Katzeklo“, „Oberhausen“ von den Missfits und Stefan Stoppoks „Wie tief kann man stehn“ auch jüngeres Liedgut aus dem Revier.
Das ergibt eine gewisse Unwucht in diesem Band, über die man aber getrost so leicht hinwegsehen kann wie über einzelne Druckfehler und solche Dinge wie die drei verschiedenen Schreibweisen von Bandoneon. Und vor allem kann man jetzt drüber hinwegsingen. Und das „Steigerlied“ ist auch dabei, mit der „Frauenstrophe“ am Schluss.