Essen. Deutschlands Renommier-Verlag wankt, weil sich die Gesellschafter – die Witwe des einstigen Verlegers Siegfried Unseld und der Hamburger Medien-Unternehmer Hans Barlach – vor Gericht in den Haaren liegen. Chronik eines drohenden Untergangs.

Der Suhrkamp Verlag firmiert als mittelständisches Unternehmen, unter den 100 größten deutschen Buchverlagen ist er auf Platz 48 abgerutscht. Aber Suhrkamp ist Macht und Mythos zugleich. Suhrkamp war Schöpfer der „Stichworte zur geistigen Situation der Zeit“, wie eines der legendären Taschenbücher hieß. Suhrkamp war intellektuelle Batterie der alten Bundesrepublik, ja einer der Motoren der Kulturrevolution von 1968.

Suhrkamp ist jedoch ins Wanken geraten, seit ein Berliner Richter die Absetzung der Geschäftsführerin Ulla Berkéwicz-Unseld verfügt hat – vorläufig letzter Akt in einem Drama, das mit seinem Hauen und Stechen von der schönen Frau bis zum verlorenen Sohn beinahe schon klassisch anmutet. Enden könnte es als Tragödie: mit dem Untergang des Hauses Suhrkamp.

Das Drama begann mit dessen König Siegfried Unseld, der 1959 den Gründer Peter Suhrkamp beerbte und den Verlag von Bert Brecht und Hermann Hesse mit Tatkraft und intellektuellem Weitblick zur ersten Autoren-Adresse des Landes formte: Max Frisch und Hans Magnus Enzensberger, Peter Handke und Thomas Bernhard, Ernst Bloch und Theodor Adorno, Jürgen Habermas und Peter Sloterdijk, Isabel Allende und Mario Vargas-Llosa – Namen, die bis heute für Suhrkamp stehen.

Geschäftlich war Unseld ein Berserker, im Umgang mit Autoren ein Feingeist mit maximaler Einfühlungsgabe. So schuf er binnen vierer Jahrzehnte ein Geistes-Imperium, wie es in Deutschland kein zweites gab. Der Titel „Suhrkamp-Autor“ war lange der Ritterschlag für Nachwuchs-Schriftsteller.

Barlach beantragte Auflösung

Unseld, dessen erste Frau sich 1985 scheiden ließ, weil sie die zahllosen Affären ihres schürzenjagenden Mannes leid war, lebte wie viele Mittelständler im Glauben an die eigene Unersetzlichkeit, bis zum Schluss. Kein Thronfolger war ihm gut genug. Erst biss er seinen Sohn Joachim weg, der nun seit 25 Jahren verlegerisches Können mit seiner Frankfurter Verlagsanstalt beweist. Dann wurde bei Suhrkamp ein Geschäftsführer nach dem anderen vom Hof gejagt, darunter Gottfried Honnefelder, heute Chef im Börsenverein des Deutschen Buchhandels.

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2002, als Unseld starb, fiel das Suhrkamp-Reich seiner 24 Jahre jüngeren Witwe Ulla in den Schoß, einer gelernten Schauspielerin, die mal mit dem Regisseur und Bühnenbildner Wilfried Minks verheiratet war, auf Schriftstellerin umgesattelt hatte und nun in ihrem Scheidungsanwalt den Testamentsvollstrecker fand. Im Machtkampf um die Firmenspitze setzte sie sich gegen Verlagsleiter Günter Berg durch, heute erfolgreicher Chef bei Hoffmann & Campe. Unselds Witwe drückte bei Suhrkamp 2010 auch den umstrittenen Umzug von Frankfurt nach Berlin durch. Sie vergraulte renommierte Autoren wie Martin Walser, einen Marcel Reich-Ranicki als Herausgeber und eine wichtige Lektorin wie Michi Strausfeld, die Suhrkamps Südamerika-Programm aufgebaut hat.

Verheerender Teilhaber-Wechsel

Viel verheerender aber war ein Teilhaber-Wechsel für Suhrkamp im Jahr 2006. Während die Siegfried-und-Ulla-Unseld-Stiftung 61 Prozent der Verlagsgruppe hält, verkaufte der stille Teilhaber, der Schweizer Unternehmer Andreas Reinhart, dessen Kapital Siegfried Unseld einst die Expansion ermöglicht hatte, seinen Anteil an den Hamburger Medienunternehmer und Bildhauer-Enkel Hans Barlach, der nun 39 Prozent hält. Barlach, auf maximalen Gewinn bedacht, überzieht Ulla Berkéwicz-Unseld seither mit einer Klage nach der anderen, er hat die Auflösung des Verlags beantragt, in Frankfurt und in Berlin sind diverse Prozesse anhängig.

Ulla Berkéwicz-Unseld als Chefin rechtskräftig abberufen

Dass ein Berliner Richter nun Barlach in zwei Fällen Recht gab, schlug ein wie eine Bombe. Die Verlegerin hat dem zufolge zu Unrecht ihre Privat-Villa am Berliner Nikolassee an den Verlag vermietet (dafür sind 282 500 Euro Schadenersatz an Suhrkamp fällig). Außerdem erklärte der Richter den Beschluss einer Gesellschafterversammlung von 2011 für rechtskräftig, der Ulla Berkéwicz-Unseld als Chefin abberufen hatte. Wie der bei Mehrheitsverhältnissen von 61:39 entstehen konnte, ist eines der vielen Rätsel in diesem Drama.

Ulla Berkéwicz-Unseld wird als Geschäftsführerin zwar im Amt bleiben, bis der Rechtsstreit um die Führung des Verlags in der letzten Instanz entschieden ist – was noch Jahre dauern kann. Aber das Vertrauen der Autoren, das wichtigste Kapital eines Verlages, zu einer Geschäftsführung auf Abruf dürfte denkbar gering sein.