Berlin. . Trauer auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, zwischen den Gräbern von Brecht, Anna Seghers und Hegel, Stefan Hermlin und Johannes Rau: Die Trauerrede für Christa Wolf hielt Volker Braun, es kamen auch Günter Grass, Ingo Schulze und Friedrich Schorlemmer, Gregor Gysi und Klaus Wowereit.
Hellrot färbt sich der Winterhimmel an diesem Morgen. Genauso wie an Christa Wolfs Todestag, am 1. Dezember. Später setzt wieder Dauerregen ein, Wind auch und Hagel dazu. Und doch nehmen an diesem Dienstag viele hundert Menschen Abschied von Christa Wolf – Freunde, Verwandte, und solche, die sich verwandt fühlten.
„Wohl nie hat so viel Liebe eine Tote zum Grab geleitet“, sagt der Schriftsteller Volker Braun in seiner Trauerrede in der Kapelle des Dorotheenstädischen Friedhofs an der Chausseestraße. Die Rede wird nach draußen übertragen, die Kapelle ist viel zu klein für die große Trauergemeinde. Es kommt heute nicht mehr oft vor, dass eine private Beerdigung so viele Menschen bewegt. Immerhin ist dies kein Staatsakt und auch kein Boulevard-Ereignis – hier kommen Menschen zusammen, die dieselben Bücher gelesen haben und sich gemeint gefühlt haben. Deutlich mehr Frauen als Männer, deutlich öfter über fünfzig als darunter. Dazu viele Kollegen, Günter Grass, Christoph Hein, Ingo
Schulze.
Christa Wolfs Grab liegt im Herzen des berühmten Friedhofs. Es war ihr Wunsch, hier begraben zu werden, in Gesellschaft von solchen, die wie sie zu den Ikonen deutscher Kulturgeschichte gehören. Schinkel, Hegel und Fichte, Bert Brecht und Helene Weigel, seit 2006 auch Johannes Rau. In Wolfs Nähe ist der Literarhistoriker Hans Mayer begraben, bei dem die 20-Jährige in Leipzig studiert hat. Auch das Grab von Anna Seghers liegt hier.
Auf dem Dorotheenstädtische Friedhof aber geht es anders zu als etwa auf dem Pariser „Père Lachaise“ mit seinem Jim Morrison-Grab, drei Nummern stiller. Auf Johannes Raus Grabstein haben Besucher Kastanien gelegt, auf Hegels Grabstätte welkt ein Strauß mit Sonnenblumen. Die Wege sind sandig, die Bänke verwittert. Wer kein Gemeindemitglied ist, braucht eine Empfehlung der Akademie der Künste, um hier eine Grabstelle zu bekommen.
An diesem Morgen folgt Gerhard Wolf mit seinen Töchtern dem Sarg. Seit über 60 Jahren begleitet dieser klein gewachsene, großmütige Mann seine Frau – „gütig und klug“, wie Braun sagt. Bis zuletzt hat er seiner kranken Frau jeden Tag eine Suppe gekocht. Das kann er gut, das wissen die Leser. Gerhard Wolf ist der Reisebegleiter aus „Kindheitsmuster“, der Gastgeber im „Sommerstück“, der Ehemann, Vater und erste Leser aller Wolf-Manuskripte aus „Ein Tag im Jahr“. Der 83-Jährige war zuletzt immer dabei, wenn seine Frau Lesungen hatte, saß in der ersten Reihe und wartete nachher geduldig, wenn sie Bücher signierte. Ein wachsamer Beschützer. Gerhard Wolf hat auch diesen letzten Tag organisiert, mit dem Begräbnis am Morgen und der Trauerfeier am Abend in der Akademie der Künste.
„Herr Gott Du bist unsere Zuflucht“ steht über der Friedhofskapelle. Gott kam selten vor bei Christa Wolf. Aber: „Wahrscheinlich werden die, die einmal als Kind an ihn geglaubt haben, ihn ihr Leben lang nicht mehr los – auch wenn sie nicht mehr an ihn glauben“, schrieb sie Anfang der 70er-Jahre an ihre todkranke Freundin, die Schriftstellerin Brigitte Reimann. „Natürlich kann man von Hilfskonstruktion sprechen, jedoch wir leben inmitten von Hilfskonstruktionen, darunter viel schlechteren.“ Vier Jahrzehnte später, in ihrem letzten Buch „Stadt der Engel“, taucht immerhin ein leibhaftiger Gottesbote auf.
„Sie wird mir fehlen“
Der Suhrkamp-Verlag hat im Internet eine Kondolenzseite geschaltet. Eine 57-Jährige schreibt: „Christa Wolf hat mich durch all die Jahre begleitet. Sie wird mir sehr fehlen.“ Ein anderer: „Es bleiben die Bücher. Mach’s gut, da oben!“ Oder wo immer sie jetzt ist.