Paris. Als Romanautor wird Frank Schätzing vor allem für seine Science-Fiction-Thriller geschätzt, doch seine Bücher stehen auf fundiertem wissenschaftlichen und politischen Grund. Ein Gespräch über Zukunft, Klimawandel, den Weltuntergang und Harry Potter, von dem Schätzing sagt, er sei sein größter Fan.

In Ihren Arbeiten entwerfen Sie oft radikale Entwürfe der Zukunft, die mit der Vergangenheit brechen. Wo sehen Sie Brüche in unserer Gesellschaft?

Frank Schätzing: Ich sehe Brüche und ich sehe Verlagerungen. Und das eine wird gern mit dem anderen verwechselt. Zum Beispiel haben wir Angst, Europa könne wirtschaftlich durch China entmachtet werden. Für viele wäre das ein Bruch. Ist es nicht. Hier vollzieht sich ein Übergang, eine fließende Verlagerung. Nirgendwo steht geschrieben, dass das Heft des Handelns immer in der Hand des Westens liegen muss. Das Kräfteverhältnis innerhalb der Weltwirtschaft mag sich verschieben, was ihre Funktion und Dynamik betrifft, wird sie weiterhin die gute alte Weltwirtschaft bleiben. Ein Bruch hingegen ist der Social Divide. Teile der Menschheit werden immer besser vernetzt sein, was ihre Chancen, an der Globalisierung zu partizipieren, vergrößert. Auf der anderen Seite geraten Millionen anderer regelrecht in Vergessenheit.

Der Social Divide vollzieht sich ja nun seit langem, ohne dass viel passiert. Wie kann man die Schere wieder schließen?

Schätzing: Indem man die Mechanismen der Spaltung versteht. Erst allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Social Divide mit dem Digital Divide einhergeht. Sprich, bist du nicht im Netz, bist du nicht vorhanden. Du existierst nicht. In Zukunft wird der signifikanteste Unterschied zwischen Menschen wahrscheinlich nicht ihre Religion oder Hautfarbe sein, sondern ihr Netzstatus. Zugang, Zugriffsrechte und Nutzungskapazitäten werden entscheiden, wo ich in der Gesellschaft stehe. Daraus entwickelt sich der Medical Divide. Die pharmakologische Industrie schafft Medikamente für Zielgruppen in Wohlstandsschichten. Die Netzlosen in ihren informellen Gesellschaften können diese Medikamente weder bestellen noch bezahlen, also werden für sie keine Medikamente entwickelt.

Technischer Fortschritt gegen Macht und Natur

Sie beschreiben oft die Gegenbewegungen: Auf der einen Seite steht der technische Fortschritt, auf der anderen die Macht der Natur. Glauben Sie an eine Verzauberung der Welt, während Techniker neue Raumstationen konzipieren?

Schätzing: Ich glaube, dass es Menschen gibt, die sich nach einer Wiederverzauberung der Welt sehnen. Aber die Welt war nie verzaubert. Sie ist es immer nur im Rückblick. Die Feinde der Aufklärung, die Maschinenstürmer, die den Fortschritt aufhalten wollten, weil sie um ihre Arbeitsplätze fürchteten, die Taliban, die vom Mittelalter träumen, die Esoteriker, deren Konzepte auf Mythen gründen, die Wutbürger – sie alle sind und waren im Grunde Nostalgiker. Aber man kann das Rad nicht zurückdrehen. Niemand kann etwas, das entzaubert wurde, wieder neu verzaubern.

Leiden wir unter einem Mangel an Idealen?

Schätzing: Eklatant. Wir sind unserer alten Gottesbilder verlustig gegangen, und Ersatz ist nicht in Sicht. Immer mehr zu kaufen, zu partizipieren, zu genießen, löst das Problem nicht. Der Mangel an Idealen tritt nur umso offener zutage. Hierin liegt übrigens das ganze Geheimnis des Fantasy-Booms . . .

Sie sind kein Harry-Potter-Fan?

Schätzing: Ich bin der größte Harry-Potter-Fan unter der Sonne. Aber man muss Verzauberung als Spiel begreifen. Eins zu eins genommen, ist Harry Potter nur eine Form von Eskapismus: Abtauchen in eine Welt, in der alles magisch bleibt, wie es auch kommt. Nur, so läuft das nicht im Leben: Wir kennen das vom alten Blechspielzeug. Man zog es auf, irgendwas geschah, wir waren verzaubert. Dann haben wir das Ding auseinander geschraubt, gesehen, wie es funktioniert, es wieder zusammen montiert, und der Zauber war futsch. Da waren nur Rädchen, die sich drehten.

"Die schlimmste aller Ängste ist die Zukunftsangst" 

Ich würde gerne bei der erwähnten Angst vor der Zukunft bleiben. Welche Rolle spielt die Angst für unsere Gesellschaft?

Schätzing: Angst ist keine gute Triebfeder. Furcht schon. Furcht ist objektbezogen. Wir fürchten, China könne uns die Entwicklung der Solarzellentechnologie aus der Hand nehmen? Gut, überlegen wir, was dagegen zu tun ist. Das ist das Gute an Furcht, sie impliziert immer eine Lösung. Gegen das Objekt meiner Furcht kann ich kämpfen, es sogar besiegen, weil ich sein Wesen, seine Natur eingrenzen kann.

Und Angst?

Schätzing: Ist was anderes. Ein diffuser emotionaler Aufruhr, auf nichts Konkretes gerichtet. Und die schlimmste aller Ängste ist die Zukunftsangst. Sie speist sich aus einem Gefühl permanenter Überforderung, bis man beginnt, in der Zukunft selbst eine Bedrohung zu sehen.

Klimawandel muss entkatastrophisiert werden

Wir stehen inmitten einer der größten Umwälzungen aller Zeiten: im Klimawandel. Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan warnt vor Millionen Toten in Folge des Klimawendels.

Schätzing: Vielleicht sollten wir weniger darüber nachdenken, was wir gegen den Klimawandel tun, als wie wir mit ihm leben können. Natürlich ist es wichtig, im Rahmen unserer Kräfte alles zu unternehmen, um die Welt nicht weiter aufzuheizen. Aber der Wandel kommt sowieso.

Vielleicht vollzieht er sich durch uns aber schneller.

Schätzing: Wahrscheinlich. Ein Teil ist hausgemacht, alles Weitere liegt außerhalb unserer Einflussnahme. Ich will den Wandel entkatastrophieren, damit wir nicht von einer kollektiven Paralyse befallen werden.

Hatten wir schon eine?

Schätzing: Wir haben ständig welche. Griechenland, Islamisierung, Maya-Kalender . . . Wenn ich an den sauren Regen denke! Hätten die Untergangsapostel damals Recht behalten, stünde heute kein Baum mehr.

Zurzeit macht sich Weltuntergangsstimmung breit, angeblich weil die Zahl der Naturkatastrophen zunimmt. Was ist dran?

Schätzing: Nix.

Gar nichts?

Schätzing: Ständig passiert irgendwo irgendwas. Als der Krakatau, ein Vulkan zwischen Sumatra und Java, 1883 in die Luft flog, starben 40 000 Menschen, der Himmel verdunkelte sich, so dass es zu einer kleinen Kältezeit kam. Im Mittelalter wurde China von Überschwemmungen mit Millionen Toten heimgesucht. Nur bekam Europa nichts davon mit. Damals gab es keine Massenmedien. Heute vermitteln uns die Abendnachrichten das Bild einer Welt am Abgrund. Tatsächlich ist es wie immer: Der Mensch muss sich in der Umwelt behaupten, und manchmal siegt die Umwelt.

Wohin mit dem Menschen?

Eine Zäsur wird auch sein, dass im Zuge des Klimawandels Millionen Menschen ihre Existenzgrundlage verlieren.

Schätzing: Wir sollten uns fragen, wohin mit den Menschen? Das kann zum Problem werden. Ebenso kann das dazu führen, dass unzugängliche Gebiete urbar werden. Vielleicht ziehen ja Flüchtlinge nach Grönland, um Ackerbau zu betreiben.

Kann die Aufklärung dabei helfen, den Klimawandel zu bewältigen?

Schätzing: Es gilt, sämtliche Fakten, die sich mit dem Klimawandel verbinden, nüchtern aufzureihen, damit wir sehen, welche Gestaltungsmöglichkeiten wir haben. Das Schlimmste sind Halbwissen und Katastrophismus. Wir können gezielt Konzepte entwickeln, wie wir Menschen helfen, deren angestammte Gebiete unfruchtbar werden, können neue Arbeitswelten schaffen. Darin liegen auch Chancen!