Essen. Die 51-Jährige Felicitas Hoppe ist ein Kobold des Wortes, eine Fantasiereisende. Jetzt nimmt sie den renommierten Büchner-Preis entgegen. Zuletzt erschien ihre Traumbiografie „Hoppe“. Darin erfindet sie sich eine Kindheit in Kanada und Australien. Ein Porträt.
Felicitas Hoppe ist jung, für eine Büchner-Preisträgerin allemal. Wenn die 51-Jährige nun Deutschlands renommiertesten Literaturpreis entgegennimmt, steht sie in einer Reihe mit den ganz Großen: Elfriede Jelinek und Günter Grass, Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll oder Christa Wolf gehören ebenfalls zu den bisher Geehrten. Felicitas Hoppe aber, die sprachverspielte Fantasiereisende, war bisher eher Feinschmeckern ein Begriff. Wie praktisch, dass ihr jüngster Roman eine Autobiografie ist; der schlichte Titel lautet: „Hoppe“.
Staunend erfahren wir hier: „Die Hamelner Kindheit ist reine Erfindung.“ Nicht in der Rattenfängerstadt wächst Hoppe auf, wie wir bis dato glaubten – sondern in Kanada. Ihre Eishockey-Künste tragen ihr den Spitznamen „Superpuck“ ein. Mit ihrem Vater, einem Patentanwalt, zieht sie weiter nach Australien und wird Dirigentin, später lebt sie in Amerika als Deutschlehrerin und, dann doch, Schriftstellerin. Hoppe schreibt über Hoppe in der dritten Person, zitiert Kommentatoren (die ihre „Selbstrettungsprosa“ anprangern) und streut als „fh“ eigene Anmerkungen ein: „(hier meint fh offenbar sich selbst/fh)“.
Was für eine Rattenfängerei!
Natürlich hat Hoppe sich „Hoppe“ ausgedacht. Die Fantasie ist der Stoff, aus dem ihre Geschichten sind. Träume und Wünsche sind für Hoppe Bestandteil des Lebens. Schon in Hoppes erstem Roman „Pigafetta“ heißt es: „Aber es ist nichts erlogen, ich habe alles ehrlich erfunden.“ Hoppe wurde nie „Superpuck“ gerufen, ist aber einer: ein Kobold des Wortes, der mit allen gefrorenen Wassern gewaschen ist. In „Pigafetta“ etwa wird eine reale Schiffsreise zur Folie einer weltumspannenden Märchenstunde. Die Erzählungen „Picknick der Friseure“ und der Roman „Paradiese, Übersee“ sind bevölkert von Rittern und Pilgern. In „Johanna“ schickt sie Fräulein von Orleans ins Hier und Heute. Die Historie ist Hoppes Element, die Recherche Teil ihrer Arbeit. Nur tut sie beim Schreiben alles, das Recherchierte gründlich zu vergessen.
Hüpfendes Biografie-Spiel
Was ihr begegnet auf ihren Wegen, das wird Literatur. Oft habe sie das Gefühl, „überinspiriert zu sein“, sagte sie in einem Interview. Seit „Pigafetta“ gilt Hoppe als Reiseschriftstellerin; dabei sieht sie sich sie eher als „reisende Schriftstellerin“, die viel unterwegs ist, sich um reale Geografie im Werk aber wenig schert. Kritiker haben Felicitas Hoppe vorgeworfen, sie mache das Schelmenstück, das Maskenspiel zum Dogma. Hoppe wolle, so Ijoma Mangold in der „Zeit“, „das Drehen von Locken auf einer Glatze zum wahren poetischen Glaubensbekenntnis erklären“. Stimmt das? Vielleicht ruft sie, die ihre Sätze wie ein Trampolin spannt, beim Salto tatsächlich ein wenig zu laut, „Schaut her, so geht das!“ Auch ist ihr sprunghaftes Erzähl-Spiel zuweilen ermüdend zu lesen. Keinesfalls aber ist es Kunst um der reinen Kunst willen. Wie Hoppe ganz richtig in Hoppe hineininterpretiert, dient ihr der „immer wiederkehrende Gestus des Abbiegens, Entwischens, Verschwindens und Abbremsens“ als „Möglichkeit der Wahrheitsfindung“. Es ist ja ganz erstaunlich: Hoppe kann die Figur Hoppe aufs Eis schicken oder ans Dirigentenpult – am Ende aber erkennt die Autorin (sich) selbst: „Hoppe bleibt Hoppe.“
Was ist der unveränderbare Kern unserer selbst? Könnten unsere biografischen Umstände, könnte unser Leben nicht auch ganz anders sein? Vielleicht ist der Büchnerpreis für Felicitas Hoppe Ausdruck einer Sehnsucht: nach Geschichten, die das Träumen wieder erlauben.