Essen. Umsonst und draußen: Das Prinzip „Offener Bücherschrank“ greift in den Städten immer mehr um sich. Manche legen Bände hinein, manche nehmen sich gern welche raus. Die Mercator-Stiftung finanziert gleich zehn solcher Lektüre-Tankstellen. Und ein Forschungsobjekt sind sie auch schon.

Hinter den Glastüren riecht es nach alten Büchern. Auf einem Regalboden steht Sidney Sheldons „Imperium“. Eine Dame mit grauem Haar öffnet die Glastür, greift nach dem Buch, blättert darin. Auf der anderen Seite räumt ein Mann zwei Hände voll Bände aus seinem Stoffbeutel in den Schrank, Schach-Ratgeber inklusive.

Die Auswahl im offenen Bücherschrank am Düsseldorfer Rheinufer ist vielfältig: Neben Peter Bench­leys „Weißem Hai“ stehen ein Ratgeber über Zimmerpflanzen und eine Neuauflage des „Hagakure“ von Tsunetomo Yamamoto, Samuraiworte aus dem 17. Jahrhundert.

Immer öfter stehen solche offenen Bücherschränke auf Plätzen oder an Stellen, an denen viele Menschen vorbei laufen. Das Prinzip: Wer will, kann die Bücher mitnehmen, sie behalten oder nach dem Lesen wieder zurückstellen. Und wer andersherum will, kann ausgediente Literatur in den Bücherschrank stellen und anderen damit eine Freude machen.

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Zum ersten Mal Aufsehen erregt hat das Prinzip „offener Bücherschrank“ bereits vor 20 Jahren. In Hamburg inszenierte das Künstlerduo Clegg und Guttmann drei „offene Bibliotheken“ in ausgedienten Stromkästen. Mittlerweile bemühen sich sogar Institutionen um die öffentlichen Literaturmöbel. Die Stiftung Mercator fördert mit 48 000 Euro zehn neue Bücherschränke für das Ruhrgebiet. Acht stehen bereits, zwei sollen in den nächsten Monaten folgen. Damit will die Stiftung kulturelle Bildung zugänglich machen und eine kostenfreie Ergänzung zu den Stadtbüchereien schaffen. Die Menschen sollen schnell und unkompliziert in Kontakt mit Büchern kommen.

Wie und warum offene Bücherschränke benutzt werden, das hat Michael-Burkhard Piorkowsky, Professor für Haushalts- und Konsumökonomie an der Uni Bonn, gemeinsam mit Studierenden an einem Bücherschrank in Bonn untersucht. Die Beweggründe, Bücher in den Schrank einzustellen, sind ganz unterschiedlich. Manche Menschen haben Probleme, Werke wegzuwerfen. Manche wollen andere an Büchern, die ihnen Freude bereitet haben, teilhaben lassen.

Frauen geben, Männer nehmen

Die Nutzer des Bücherschranks stammen aus allen Schichten. Piorkowsky hat festgestellt: „Frauen geben eher und nehmen weniger mit, bei Männern ist das umgekehrt.“ Was den Wissenschaftler beeindruckt hat: Dass rund um den Bücherschrank „ein kleines Sozialsystem mit eigenem Ordnungsgefüge“ entsteht. So gibt es Menschen, die auf Ordnung im Schrank achten oder darauf, dass niemand zu viele Bücher mitnimmt, um diese womöglich zu verkaufen. „Diese Strukturen bilden sich spontan“, erklärt Piokowsky. Es gibt keine vorgegebenen Regeln, die Menschen handeln aus eigenem Antrieb so. Der Schrank sei auch ein Begegnungssystem, weil die Menschen über die Bücher ins Gespräch kämen, so Piokowsky.

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Von Katja Büchsenschütz

In Düsseldorf koordiniert das Literaturbüro NRW vier Bücherschränke, die vor Ort von Paten gepflegt werden. „Ständig rufen bei uns Leute an und freuen sich über die Bücherschränke“, sagt Maren Jungclaus vom Literaturbüro. Kochbücher, Krimis, aber auch „richtig tolle Klassiker“ landen in den Schränken: „Sogar eine Tschechow-Gesamtausgabe war dabei.“

Einige Erben würden Nachlässe in die Bücherschränke legen, „weil sie möchten, dass die Bücher in gute Hände kommen.“ So steht in dem gläsernen Exemplar am Düsseldorfer Rheinufer ein schöner Bildband über die Fresken von Pompeji – zumindest so lange, bis ihn jemand für sich entdeckt.