Essen. Herbert Grönemeyer erfindet sich nach gut 30 Jahren im Geschäft noch ein mal neu. Mit seinem Album „I Walk“ wagt er sich erneut aufs internationale Parkett: Auf der Platte singt er mehrere Lieder auf Englisch. Auch ein Duett mit Bono ist dabei.
Einerseits liegt der Charme langjähriger Beziehungen darin, dass man den anderen in allen Nuancen und Zwischentönen kennt: Wie er wütend wird beim Parkplatzsuchen („Ich dreh jetzt schon seit Stunden hier so meine Runden“). Wie er süß wird beim Romantischsein („Ich setze die Segel, pack den Mond für dich ein“). Wie er dramatisch wird in seinen Abstürzen („Was ist los, was ist passiert – ich hab bloß meine Nerven massiert!“). Herbie, das war eine heftige Affäre unserer Jugend, das war „Bochum, ich komm’ aus dir“, war mit begeistertem Dampf hervorgepresste Heimatliebe.
Andererseits kann man sich auch nach, sagen wir, gut 30 Jahren noch überraschen lassen. Schließen wir die Augen, lassen uns ein auf ein Blind Date: Grönemeyer erfindet sich noch einmal neu. Auf dem Album „I Walk“ singt er nur auf Englisch. Grönemeyer, der lange in London lebte, schreibt seine Texte heute zuerst auf Englisch und überträgt sie dann ins Deutsche. Nun wagt er erstmals drei englische Alleingänge, eine Premiere.
"Dreh dich um" wird zu "Let It Go"
Die übrigen zehn Stücke aber sind alte Freunde: „Erzähl mir von morgen“ begegnet uns als „The Tunnel“ wieder, „Deine Zeit“ hieß „Before The Morning“. Zerrissen zwischen Fremd- und Vertrautheit hören wir „Zum Meer“ nun als „To The Sea“. Glam-Punker James Dean Bradfield gibt darin der Gitarre Schwung, auch der Text kommt beschwingter daher: Aus „Dreh dich um“ wurde „Let It Go“, ein Dreh hin zum befreiten Loslassen – mehr als eine Übersetzung!
Heimspiel für Herbert
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In ähnlicher Stimmungslage spaziert er durch die titelgebende Neuheit „I Walk“, kraftvoll und rhythmisch. Ungewohnt samtig dann das ebenfalls brandneue Gänsehautstück „Keep Hurting Me“ – dunkel, reif, tiefgründig. Chapeau!
"Mensch" mit Bono
Anderswo hingegen hat das mit dem Neuerfinden nicht so gut geklappt. Im Stück „Airplanes in My Head“ etwa stiegen ihm die guten, alten Flugzeuge im Bauch eindeutig im doppelten Sinne zu Kopfe – da wollen wir unser Herz doch lieber auf gut Deutsch zurückhaben. Gewagt auch die Duett-Gesänge, zu denen er befreundete Musiker geladen hat. „Will I Ever Learn“ ist ein toller Song, aber Antony Hegarty hat ein ungleich runderes Organ als Grönemeyer, fast vibrierend.
Grönemeyer in Bochum 2011
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In „Mensch“ schließlich zeigt kein Geringerer als Bono stimmliche Größe und erinnert mit gehauchtem „I Miss You“ an eine weitere musikalische Jugendliebe, die bis heute währt. Im Vergleich fällt umso mehr auf, was ein britischer Kritiker Grönemeyers so umschrieb: „His somewhat nasal vocals may take some time getting used to“. Übersetzt bedeutet diese höfliche Gemeinheit: Wat ‘ne olle Knödelstimme!
Herbert Grönemeyer: I Walk. Grönland Records, 13,99 €
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