Essen. . Erste Küsse, Zahnspange, High School, Depression und so: Die Ruhrtriennale bringt „Life and Times“, Teil 2, auf die Pact-Zollverein-Bühne. Mal mehr, mal weniger unterhaltsam spielen die fünf Darsteller in ihren bunten Trainingsanzügen das Leben der Kristin Worall, das sich durch nichts auszeichnet als durch seine herausragende Normalität.
Hauptsache lebensecht! In Kino, Literatur und auf der Bühne grassiert der Authentizitäts-Wahn. Warum was erfinden, wenn das Leben so schöne, schlechte, schräge und beruhigend normale Geschichten schreibt wie die von Kristin Worrall? Eine Amerikanerin mittleren Alters mit einem Durchschnittsleben, die ihre Jugenderinnerungen in einem 16-stündigen Aufnahme-Marathon am Telefon erzählt hat. Diese Aufnahme nutzt das Nature Theater of Oklahoma nun als Libretto für ein Theatepos, das auf der Bühne von den Darstellern buchstabengetreu vorgetragen, gesungen, getanzt und manchmal auch in kleine Spielszenen übertragen wird.
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Teil eins von „Life and Times“, so der Titel dieses über zehn Jahre angelegten Theaterprojekts, schaffte sogleich den Ritterschlag mit der Einladung zum Berliner Theatertreffen. „Episode 2“ ist nun auf Einladung der Ruhrtriennale im Essener Choreografiezentrum Pact Zollverein zu erleben. Der Erfolg des zweistündigen Abends ist dabei vor allem der überbordenden Spielfreude der fünf Hauptdarsteller in ihren bunten Trainingsanzügen geschuldet, die sich auf dem schmalen Grat zwischen glatter Showbiz-Perfektion und holpriger Teenager-Rhetorik höchst stilsicher bewegen und für den heiligen Ernst des gehobenen Kunstanspruchs einfach nur ein freundliches Lächeln übrig haben.
Harte Jahre in der High School
Das Leben eines einzelnen wird dabei zum öffentlichen Ereignis, zum Spielmaterial, denn alle Darsteller singen und tanzen Kristin Worrall, die in der achten Klasse total verschossen in Joey ist, aber zur Übung vorher schon mal ihre Freundin Cindy küsst. Die harte Jahre in der Junior High School hat, weil das Leben ohne Markenjeans eine Herausforderung ist und mit Zahnspange noch viel mehr. Die mit der Pubertät zu kämpfen hat, weil man für große Brüste doofe Turnübungen machen muss und überhaupt ziemlich oft depressiv ist.
Ruhrtriennale 2012
Und wenn man als Zuschauer zwischendrin die Augen verdreht und sich fragt, wen das alles denn bitteschön interessieren soll, dann ist das durchaus im Sinne der beiden Regisseure Kelly Copper und Pavol Liska, die dem Publikum Raum geben wollen, das eigene Kopfkino einzuschalten. Weil die, die da vorne auf der Bühne stehen, am Ende doch wir alle sind. Wie sie das vermeintlich Gewöhnliche ins Scheinwerferlicht zerren, ein Einzelschicksal zum Allgemeingut machen. Herauskommt eine glitzernde Erinnerungsfolie, auf der wir unsere eigenen Geschichten und Erfahrungen spiegeln können.
Unverschämt professionell
Mit leisem Augenzwinkern, großer Geste und gewiefter Musical-Manier knüpft das New Yorker Off-Off-Theater da an, wo Beuys und Duchamp irgendwann mal angesetzt haben und Facebook gewiss noch nicht endet. Sie wollen die alten Schranken von Kunst und Leben aufheben, von Trash und Tiefsinn, Bedeutendem und Banalen. Das gelingt in diesem formal streng strukturierten Stück Konzeptkunst mal mehr, mal etwas weniger abwechslungsreich, aber immer auf unverschämt professionelle und gut gelaunte Art. Die dritte Episode, eben am Wiener Burgtheater aus der Taufe gehoben, kommt ganz ohne Musik und Tanzeinlagen aus. Einige weitere Folgen, so ist zu lesen, können vermutlich nur als Bildergeschichte erzählt werden. Da hat das Aufnahmegerät nämlich gemuckt.
Letzte Vorstellung: 1. September, 20 Uhr.