Essen. Rechte Generäle und Dichter aufs Schild heben? Oder lieber aus dem Stadtplan entfernen? Vielerorts gibt es Streit darum. Und Adresswechsel, die ganz ohne jeden Umzug vonstatten gehen. Weil die Menschen beides wollen: Heldenplätze und möglichst objektive Spiegel der Geschichte.
Namen sind manchmal Sprengstoff. Immer häufiger steigen Schall und Rauch auf, weil sich Gegner und Befürworter eines Straßennamens unversöhnlich in den Schützengräben ihrer Argumentationen gegenüberliegen. So tobt im westfälischen Münster immer noch die Schlacht um den Hindenburgplatz, in der Revierstadt Essen eine um die Von-Seeckt- und die Von-Einem-Straße. Im bergischen Velbert soll die glühende Hitler-Verehrerin Agnes Miegel vom Schild gehoben werden.
Die Gegner von derlei Straßennamen halten es nicht für nötig, ausgewiesenen Demokratieverächtern und Wegbereitern der Nazis die Ehre zu erweisen. Die Verteidiger der Namen, sofern sie sich nicht nur gegen Veränderungen sträuben oder die Eskapaden des Amtsschimmels bei der fälligen Adress-Umschreibung scheuen, befürchten, dass mit den Namen ganze Stränge der deutschen Geschichte entsorgt werden könnten.
Verschiedene Adressen durch "Säuberungsaktionen"
Nach 1945 und 1989 waren derlei Bedenken weniger verbreitet. Den „Säuberungsaktionen“ nach dem Ende des Dritten Reichs und der DDR verdankt es mancher, in seinem Leben drei, vier verschiedene Adressen gehabt zu haben, ohne einmal umgezogen zu sein. Rekordverdächtig ist das gern zitierte Beispiel Erfurt-Ilversgehofen, wo man es in 80 Jahren auf acht Namen brachte, von der Haupt- über die Post- zur Horst-Wessel-Straße, die erst zur Straße der Guten Hoffnung wurde, dann zur Weißenseer Allee, zur Stalin- und nach dessen Tod zur Karl-Marx-Allee wurde, bevor sie 1990 zum bisher letzten Mal umgetauft wurde in Magdeburger Allee.
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Die Patrone von Straßennamen mussten nicht immer Helden sein. Mit der Entstehung von Städten im Mittelalter wurden Gassen nicht nur nach Heiligen benannt, sondern oft auch nach den ansässigen Handwerkern. Später, im Absolutismus, waren es wie gottgegeben die Herrscher auf dem Thron, die Straßen ihren Namen gaben. Und die vielen Ludwig-, Maximilian- und Karlstraßen aus dieser Zeit heißen oft auch heute noch so – selbst wenn ihre Namenspatrone große Menschenschinder, Ausbeuter, Nichtsnutze und Verschwender waren, die mit Demokratie ebenfalls nicht viel am Hut hatten.
Eine Art Heldenbuch der Gesellschaft
Es geht am Ende um die Frage, ob Straßennamen eher ein Spiegel der Geschichte sein sollen – oder eine Art Heldenbuch der Gesellschaft. Wer sie als Abbild der Geschichte sieht, wird mit manchem Unhold im Adressbuch leben müssen, wer ein Heldenbuch will, wird ein ums andere Mal zu Umbenennungen schreiten, weil die Helden und Hausgötter von heute ja immer häufiger die Verdammten von morgen sind.
Die Manie, Straßenschilder zu Denkmälern zu machen, schlug sich besonders im gedenkfreudigen 19. Jahrhundert nieder: Goethe und Schiller, Mozart und Beethoven wurden zu Ikonen des Bürgertums, das in dieser Verehrung auch seine Verachtung für den Adel und die Politik ausdrückte.
Die Helden gingen irgendwann aus
Angesichts des rapiden Wachstums der Städte gingen aber irgendwann die Helden aus. Neben den Dichter- und Komponistenvierteln entstanden Baumviertel (Lindenstraße!), Blumen- oder Märchenviertel. Und mit dem Aufstieg des 1871/72 gegründeten Kaiserreichs wurden die Orte siegreicher Generäle und Schlachten (Sedanstraße) schilderfähig. Nazis und Kommunisten machten Straßenschilder dann erst recht zu Schauplätzen ihrer Geschichts- und Erinnerungspolitik.
Wie man derlei Kalamitäten entgeht, machte einer Anekdote zufolge Anfang der 70er-Jahre ein Ratsherr im niederrheinischen Emmerich vor. Als es durch die Eingemeindung von Vororten eine Grünstraße zu viel gab, blickte der Mann auf seinen Bierdeckel. So kommt es, dass es in Emmerich eine Sternstraße gibt. Auch ein Denkmal. Denn die gleichnamige Essener Brauerei ist seit 1989 Geschichte.