Essen-Rüttenscheid. . Befürworter und Gegner der geplanten Umbenennung der Von-Seeckt- und Von-Einem-Straße nahmen beim Lesercafé an einem Tisch Platz. Historiker Günter Hinken wirbt für einen Kompromiss zwischen den Anwohnern. Die Provon-Initiative hat mittlerweile 3000 Unterschriften gegen neue Namen gesammelt.
Es ist wohl einmalig in der Geschichte Rüttenscheids, dass zwei Straßennamen die Bürger dermaßen auf die Barrikaden treiben. Auch beim ersten WAZ-Stammtisch im Café Kötter, zu dem Leser und Bürger ihre kleinen und großen Sorgen mitbringen können, polarisierten die Von-Seeckt- und Von-Einem-Straße. Thomas Hurwitz und Dagmar Rode, Sprecher der Anwohner-Initiative „ProVon“, waren nicht nur auf einen Kaffee vorbeigekommen, sondern auch, um erneut für die Beibehaltung der Namen zu trommeln. „Gut 3000 Unterschriften haben wir bereits gesammelt. Um ganz sicher zu gehen, dass wir mit unserem Bürgerbegehren durchkommen, wären noch gut 1000 nötig“, sagt Dagmar Rode.
Für die beiden zuvor politisch nicht aktiven Anwohner der Von-Seeckt-Straße sind die Namen schlichtweg ein Stück Identität. Seniorin Helga Bittner, die eigentlich vorbeigekommen war, um sich über die großen Gehwegschäden vor ihrer Haustür am Waldeck in Bredeney zu beschweren, stimmt zu. Eine Straße nach 75 Jahren einfach umzubenennen, habe sie ja noch nie erlebt, sagt die 85-Jährige. Dabei lebt sie schon eine ganze Weile hier: 1952 setzte Helga Bittner am Altenessener Bahnhof das erste Mal einen Fuß in die Stadt, weil ihr Mann Horst als einer der ersten Vertragsspieler von ETB verpflichtet wurde. Seither ist es der Zusammenhalt unter den Bürgern, der die Seniorin beeindruckt. „Dürften auch Bürger aus anderen Stadtteilen unterschreiben, wären wir mit unserem Begehren schon durch“, lobt auch Thomas Hurwitz das Wir-Gefühl.
Anders sieht das Historiker Günter Hinken, der ebenfalls im Lesercafé vorbeischaut. Als Anwohner der Von-Einem-Straße ist er für die Umbenennung. „Keine skandalträchtigen Straßennamen von Nazi-Unterstützern mehr in Rüttenscheid“, steht auf dem Flyer, den er mitgebracht hat. Ihm ist durchaus bewusst, dass die Gegeninitiative zurzeit deutlich mehr Rückenwind hat. Dennoch müsse auch die andere Seite gehört werden. Größter Knackpunkt sei, dass die Straßen 1937 in der Zeit des Nazi-Regimes bewusst umbenannt worden seien.
Innerhalb von 30 Jahren hätten sich drei Bürgerinitiativen für eine Umbenennung eingesetzt, sagt Günter Hinken, der bei der Volkshochschule auch den Bereich Geschichte betreut. Es ist das erste Mal, dass die Nachbarn an einem Tisch setzen. „Ich denke, wir sollten kreativer mit dem Thema umgehen und vielleicht über zeitliche Perspektiven einen Kompromiss finden“, sagt Hinken. „Wir könnten ja einfach die Namensgeber durch Komponist Gottfried von Einem und Leopold von Seeckt austauschen, das wäre auch in unserem Sinne“, schlägt Thomas Hurwitz vor. Ganz so einfach sei das nicht, wirft Hinken ein. Immerhin beenden die Parteien das Streitgespräch mit dem Austausch ihrer Telefonnummern. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wollen sie sich erneut zusammensetzen. Vielleicht findet das Kapitel noch ein für alle zufriedenstellendes Ende. Bis es soweit ist, gehen Thomas Hurwitz, Dagmar Rode und ihre Mitstreiter weiter auf Unterschriftenjagd.