Essen. Die Sado-Maso-Triloge „Shades of Grey“ von E. L. James erscheint am 9. Juli auf Deutsch: Der gute, alte Arztroman hat sich in einen frivolen Wolfspelz gehüllt – und fesselt leider gar nicht. Das Buch, das einen Hype ausgelöst hat, enttäuscht schon auf den ersten Seiten.

Am 9. Juli erscheint der erste Teil der Roman-Trilogie „Shades of Grey“ in deutscher Übersetzung, mit einer Startauflage von 500.000 Exemplaren. Aber bereits vor dem offiziellen Erscheinungstermin hat das Buch der schottischen Autorin E. L. James die deutschen Taschenbuch-Charts gestürmt und ist von null auf Platz drei der Bestsellerliste eingestiegen, wie Media Control am Mittwoch mitteilte. In den USA hat sich das Werk über 15 Millionen Mal verkauft – und als Ebook die Millionenmarke geknackt. Der erste Megaseller der Digital-Ära: Es ist ein Sado-Maso-Roman, in dem eine junge, moderne Frau sich ihrem „Dom“ lustvoll unterwirft – so oder ähnlich jedenfalls wird der Inhalt stets umrissen.

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SM hat Tradition seit Marquis de Sade

Als Spartenprogramm hat SM in der Literatur ja durchaus Tradition, vom Marquis de Sade über „Die Geschichte der O.“ bis hin zu Elfriede Jelineks „Klavierspielerin“. Nun aber scheint Schmerzlust und Lustschmerz ein Massenphänomen geworden zu sein. Warum gerade Leserinnen über 30 den „Shades of Grey“ verfallen, warum Vorbestellerinnen dem Werk noch vor Erscheinen Platz 1 der deutschen Amazon-Bestsellerliste sicherten, haben auch hiesige Magazine in den letzten Wochen neugierig untersucht: Na, Mädels, den Feminismus leid geworden? Oder, andersrum (ist ja auch nie verkehrt): Haben Frauen jetzt genug Macht in den Händen, um sich dieselbigen gerne mal kurz fesseln zu lassen?

Vielleicht müsste jedes Buch, das im Zentrum eines solchen Hypes steht, enttäuschen. Das Werk der schottischen Autorin Erika Leonard („E. L. James“) aber gelingt es mit bemerkenswerter Rasanz, schon auf den ersten der immerhin 600 Seiten die ohnehin nicht hohen Erwartungen zu unterlaufen.

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Alles wertlos „ohne seine Liebe“

Die Handlung: Anastasia Steele, 21-jährige Studentin in Vancouver, interviewt für die Uni-Zeitung den erfolgreichen Geschäftsmann Christian Grey aus Seattle, 27 Jahre alt und „attraktiv, sehr attraktiv“. Kurz darauf überrascht er sie in dem Baumarkt, in dem sie jobbt – kauft dort Seile, Kabelbinder, Klebeband und bietet Anastasia an, sie könnte für die Uni-Zeitung noch ein Foto von ihm machen lassen. Auf diese Weise beginnt die Liason, die zunächst an eine Teenie-Romanze erinnert.

Grey aber besitzt ein Penthouse mit „Spielzimmer“, dunkel und fesselnd, sowie eine ganz eigene Geschichte des (kindlichen) Leids. Viel Raum füllt die Diskussion um einen Vertrag, in dem die Möglichkeiten und Grenzen der Sexspiele ausgelotet werden sollen. Auch mit Geschenken bindet er sie an sich: Er spendiert ihr Kleidung, einen Laptop, ein Blackberry, ein Auto sowie ekstatische Höhenflüge auch im Hubschrauber oder Segelflugzeug. Füllt sie mit edelstem Wein ab und feiert „ihre Unschuld, die aus der Masse der Gewöhnlichkeit hervorsticht“. Sie hingegen will mehr, und dieses „Mehr“ rückt zunehmend ins Zentrum: „Der Sex mit Christian ist Wahnsinn, er ist steinreich und sieht gut aus, aber all das ist völlig wertlos ohne seine Liebe“

Im Kern sind die „Shades of Grey“ etwas Weißes, das sich in etwas Grauem tarnt, ein literarisches Schaf im Wolfspelz: Der klassische Arztroman kommt hier zwar im (pseudo-)frivolen Gewand daher, funktioniert aber nach altem Schema. Man nehme eine Beziehung mit deutlichem Gefälle, die weibliche Sehnsucht nach ewiger Verschmelzung und den männlichen Eroberungswillen, stricke einen Plot aus Hoffen und Bangen und würze mit einer Prise Sex, in diesem Fall eben eine etwas größere.

Auch sprachlich bleibt E. L. James dem Genre treu, was dazu führt, dass selbst potenziell heiße Szenen stilistisch abtörnen. Gefühlte tausendmal grinst Grey „wölfisch“ und seine grauen Augen „verengen sich gefährlich“ oder werden „stählern“. Stets endet der Sex damit, dass Anastasia „explodiert“ oder „etwas in ihr zerbirst“, was ja schön ist für alle fiktiv Beteiligten – der Autorin aber würde man gerne eine Ausgabe von „Sag es treffender“ in die Hand drücken und sie damit an den Schreibtisch fesseln.

Die „neue Lust“ ist eine alte – und altmodische

Die weithin propagierte „neue Lust“ der vielen Leserinnern also scheint im Kern doch eine ziemlich alte und altmodische. Überraschender als die Tatsache, dass Frauen Unterwerfungs-Fantasien haben (die, Achtung, nicht unbedingt konkrete Wünsche sind!) ist die Erkenntnis, dass sie sich offenbar noch immer danach sehnen, die Einzige und Auserwählte zu sein. Diese Sehnsucht steht im krassen Gegensatz zu einer Zeit, in der alles kann und nichts muss. Womöglich ist der heiße Inhalt des Sex-Vertrages zwischen Grey und Anastasia für die Leserinnen sogar weniger wichtig als die erregende Tatsache, dass es solche Verträge überhaupt noch gibt: vertraulich, verbindlich – und absolut exklusiv.

Zu dieser These würde gut passen, dass E. L. James ihr Werk als sexy Fortschreibung der „Twilight“-Saga begann, die ja ebenfalls das Ideal der ewigen, untoten Liebe feiert. „Fan Fiction“ heißt das, wenn im Internet Laien die Storys ihrer Helden fortschreiben, gerne erotisch aufgeladen; zunächst hießen Grey und Anastasia sogar Edward und Bella. Nun werden sie demnächst selbst zu Filmstars: Universal hat sich bereits die Filmrechte für „Shades of Grey“ gesichert. Gewissermaßen einschlägiges Personal ist auch schon gefunden: Der Autor Bret Easton Ellis („American Psycho“) würde gerne das Drehbuch schreiben, Angelina Jolie möchte gerne Regie führen.

E.L. James: Shades of Grey – Geheimes Verlagen. Goldmann, 608 S., 12,99 € (Ab 9. Juli im Handel)