Gelsenkirchen. .
US-Therapeut David Schnarch glaubt, guter Sex hat mit echter Intimität zu tun – und wird dafür als Revolutionär gefeiert. Im Gespräch erläutert er seine Thesen zur „Psychologie sexueller Leidenschaft“.
Seit der sexuellen Revolution der 60er Jahre sind die körperlichen Dimensionen der Leidenschaft vermessen, gilt ihre Befriedigung quasi als Grundrecht. Nur lässt sich beides, jedenfalls landläufiger Meinung zufolge, nicht unbedingt in festen, langjährigen Beziehungen und Ehen finden. Der amerikanische Therapeut David Schnarch widerspricht: Er glaubt, Affären und Scheidungen ließen sich verhindern, wenn Paare sich nur auf echte Intimität einließen. Dafür wird er als Revolutionär gefeiert. Seine Vorlesungs-Reihe in Deutschland führte ihn vor ausverkaufte Hörsäle von Berlin bis Hamburg. Britta Heidemann traf ihn in Gelsenkirchen.
Ist Monogamie wieder „in“?
David Schnarch: Die Vereinten Nationen haben jüngst Daten in 127 Staaten erhoben: Demnach besteht die menschliche Paarungsstrategie in serieller Monogamie - plus Affären. In ökonomisch schwierigen Zeiten neigen Paare dazu, in ihre Beziehungen emotional mehr zu investieren – weil eine Trennung im wahrsten Sinne zu teuer wäre. Ich glaube, dass heute zunehmend mehr Paare zusammenbleiben, wenn sie es denn können. Ich bin seit 25 Jahren verheiratet und kenne durchaus die Regung, alles hinwerfen zu wollen. Umfragen belegen: 50 Prozent aller Ehefrauen und 70 Prozent der Ehemänner haben Affären.
Was ist die psychologische Erklärung dafür?
Schnarch: In Affären geht es vor allem um Anerkennung; denn die ist in Ehen sehr oft zeitlich limitiert. Ist dieser Punkt erreicht, haben Ehefrauen einen neuen Freund und Ehemänner laden ihre Sekretärinnen zum Essen ein. Wir sind abhängig von Anerkennung. Und: Es ist viel einfacher, erotische Fantasien mit einem Menschen auszuleben, der für uns gar nicht so sehr wichtig ist.
Die Erotik halten Sie für einen Seismographen in Beziehungen. Im Buch schreiben Sie, sexuelle Probleme seien absolut normal...
Schnarch: Bis jetzt haben die Fachleute geglaubt, es gäbe drei Motoren für sexuelles Verlangen: Lust, bestimmt durch das Hormon Testosteron. Romantische Liebe, assoziiert mit dem Hormon Serotonin. Und Bindung, gesteuert durch Oxytocin und Vasopressin. Ich glaube: Es gibt eine vierte Kraft. Sie wird bestimmt durch den Wunsch, das eigene Selbst zu erhalten und zu entwicklen. Diesen Motor halte ich in Beziehungen für stärker als die anderen drei zusammen.
Wie das?
Schnarch: Schauen Sie: Bei den Gorillas kontrolliert der Partner, der das größere sexuelle Verlangen hat, das Sexleben eines Paares. Bei uns Menschen kontrolliert der Partner mit dem geringeren Verlangen die Frequenz; dies führte dazu, dass wir große Gehirne entwickelten. Als sich das menschliche Selbst entwickelte, war dies der Beginn von „Nicht heute, Schatz, ich habe Kopfschmerzen“.
Ein Machtspiel also?
Schnarch: Das ist altes Denken. Tatsächlich mögen die Partner mit dem geringeren Verlangen Sex sehr gerne, oft sogar mehr als ihre Partner. Sie wissen auch mehr über Sex. Deshalb wollen sie weniger oft: Sie wissen, dass der Sex mit ihrem Partner lausig ist.
Wir leben in einer Zeit, in der alles schon gesagt, gezeigt ist – warum ist echte Intimität so schwierig?
Schnarch: Weil die meisten von uns denken, wenn wir wirklich gekannt, durchschaut werden – würden wir nicht geliebt.
Was raten Sie Paaren, die zu Ihnen kommen?
Schnarch: Wenn Sie ihrem Partner von ihren sexuellen Fantasien erzählen, sich ihm wirklich zeigen und öffnen, werden Sie seinen Respekt erhalten. Und Respekt ist einer der größten Aphrodisiaka. Die menschliche Sexualität ist viel subtiler und anspruchsvoller, als die meisten denken. Das macht sie menschlich: Sexuelle Befriedigung hat vor allem damit zu tun, wie sehr wir unserem Partner verbunden sind. Nichts damit, wie unser Körper aussieht, ob er Dehnungsstreifen hat oder zu viele Rundungen – es geht darum, was in uns vorgeht.