Essen. Ihr Name ist ein Pseudonym, ihre Geschichten manchmal sogar echt: Sophie Andresky ist eine der bekanntesten Spracherotikerinnen. Mit ihr sprach Britta Heidemann.

Frau Andresky, was unterscheidet erotische Literatur von Pornofilmen?

Sophie Andresky
Sophie Andresky

Sophie Andresky: Bei Pornofilmen braucht man nur die Augen, aber nicht das Gehirn - dabei ist etwas ja umso lustvoller, je mehr Sinne man beteiligt. Einen Pornofilm kann man nur konsumieren, bei einem erotischen Text spielt man selbst mit. Da bin ich Regisseurin, Requisiteurin, Hauptdarstellerin und Voyeurin, alles zusammen. Es gibt erotische Texte, die lese ich jetzt seit über fünfzehn Jahren, und sie machen mich immer noch an. Das Allerbeste aber sind natürlich eigene Phantasien. Je selbstgestrickter sie sind und je weniger sie auf Vorbilder zurückgreifen, desto intensiver und dauerhafter sind sie. Außerdem sind die gängigen Pornofilme so gruselig, dass ich es kaum ertragen kann.

Sind Sie generell gegen Pornofilme wie Alice Schwarzer?

Auf keine Fall. Ich sehe mir schon gern attraktive gut gelaunte Leute beim Sex an, ich mag Pornos, aber diese Filme sind so grottenschlecht! Wenn ich die Frankenstein-Nähte der Brustvergrößerungen sehe, die aufgespritzten Schlauchbootlippen, die Männer, die wie lobotomierte Wrestler aussehen und alles ist so verkrampft und angestrengt, da kommt bei mir keine Freude auf.

Wie sind Sie darauf gekommen, erotische Literatur zu schreiben?

Ich war fünfzehn und fand das Buch ganz zufällig auf dem Wühltisch eines Supermarkts. Wahrscheinlich kam mir die Beschreibung "erregend", "Detailgenauigkeit" und "Rotlicht-Szene" viel versprechend vor. Der Roman entpuppte sich als schmierige Lebensbeichte eines Zuhälters, schlecht geschrieben, größenwahnsinnig. Da machten sich Menschen ohne viel Umstände über einander her, trieben es in fahrenden Autos oder zogen sich zum Sex Nylonstrumpfhosen an, bei denen sie den Zwickel herausschnitten. Das ganze war auch unglaublich vulgär geschrieben. Ich fand es schockierend. Abstoßend. Und sehr erregend.

Der Inhalt der erotischen Bücher, die damals auf dem Markt waren, gefiel mir aber weit weniger als die Sprache: Bei der erotischen Literatur von Männern gab es Klischees ohne Ende, unemanzipierte Pornopüppchen, langweilige Geschichten, bei der Literatur von Frauen ein Selbsterfahrungs-Lamento voller politischem Gelaber. Und insgesamt war das alles eine völlig humorfreie Zone. Da hab ich mir gedacht: Dann mach ich's mir halt selbst.

Wie haben Sie zu ihrer Sprache gefunden? Das ist ja schwierig, erotische Szenen zu beschreiben, noch dazu, wenn sie anregend sein sollen.

Das Schwierige ist genau der Reiz. Es geht nicht darum, völlig abgeklärt darüber zu reden, das wäre ja wie in einer Sauna voller nackter Menschen, da prickelt auch nichts. Der Spaß liegt darin, seine Grenzen auszutesten. Was ist mir peinlich und was nicht? Und dann diese Grenze mit Genuss zu überschreiten. Das ist extrem befreiend.

Ich wusste sofort, als ich dieses erste Buch fand, dass ich Verbalerotikerin bin, dass es mich anmacht, anders über Sex zu reden als mit Begriffen wie dem verschämten "da unten" oder dem übersachlichen "Geschlechtsverkehr", das meine Eltern für fortschrittlich hielten. Sex ist ja keine klinisch saubere Veranstaltung, kein kitschiger 50er Jahre Film und kein Tanztee voller Contenance und Eleganz. Sex ist säuisch, wenn er gut ist, und das sollte sich auch in der Sprache widerspiegeln.

Gab es denn Vorbilder?

Beim Schreiben von erotischer Literatur habe ich mich überall bedient, wo ich nur wollte:

Bei den trashigen Büchern gefiel mir das vulgäre Vokabular, aber der Inhalt war leider meist nur dämlich. Bei Marquis de Sade mochte ich die fast technische Abfolge von sexuellen Handlungen, aber ich kann mit diesem ganzen Gequäle und Gemetzel überhaupt nichts anfangen. Bei Emanuelle Arsan interessierten mich die exotischen Schauplätze, aber da wurde zu viel herumgeredet, und bei Philip Roth fand ich die Sexszenen wunderbar originell und auf humorvolle Weise obszön, aber sie sind auch sehr, sehr männlich, da fehlte mir der weibliche Blick.

Was sind die Zutaten für Ihre erotischen Geschichten?

Starke, erwachsene, mündige und sinnliche Frauen, die kompromisslos emanzipiert sind, nicht lange drumrum reden und sich nie entschuldigen für das, was sie wollen. Spannende Plots, auch mal etwas Skuriles oder Bizarres dazwischen, das man so in einem Porno nicht erwarten würde, und natürlich ein sehr explizites Vokabular.

Ich finde auch, man muss diese ganze Sexsache nicht so bierernst sehen, Sex ist doch auch eine komische Angelegenheit. Dieses Schnaufen und Schubbern, Robben und Räkeln, Speicheln und Schmatzen. Das muss man mit Humor nehmen.

Haben Sie den Eindruck, dass Charlotte Roche die Literatur, vielleicht sogar die Hochliteratur, ein wenig von Ängsten vor Verbalerotik befreit hat, sie lockerer gemacht hat?

Ich schätze Charlotte Roche sehr, weil ich es immer klasse finde, wenn Frauen in der Öffentlichkeit stehen, die anders sind als die gängigen Klischees. Barbies, die sich um die Cellulitis in ihrer Kniekehle sorgen, haben wir wirklich genug. Ich sehe sie gern in Talkshows, weil dann immer etwas los ist. Und mich freut das einfach, wenn eine Frau richtig viel Geld verdient mit dem, was sie macht. Das Schlimme an einer Männergesellschaft ist ja die Unsichtbarkeit von Frauen. Wenn man die Nachrichten anschaltet, findet man auch heute noch oft minutenlang keine einzige Frau, als gäbe es die gar nicht. Charlotte Roche kann man nicht übersehen. Das ist gut.

Ihr Buch würde ich aber weder ins Erotikfach einordnen, noch in die Hochliteratur. Ich glaube nicht, dass viele Menschen masturbieren möchten zu der Beschreibung, wie jemand sein Erbrochenes trinkt. Und Autoren wie Anais Nin, Henry Miller oder Charles Bukowski, die Kunst und Sex verbunden haben, gab es ja schon lange vorher.

Zuletzt eine Frage, der sich alle Autoren stellen müssen: Wie viel von Ihnen selbst steckt in ihrem Werk?

Schon sehr viel. Erotische Literatur kann man nicht distanziert am Reißbrett planen. Das sind ja meine eigenen erotischen Phantasien, die ich da beschreibe, also etwas sehr Privates und Intimes. Wenn es mich nicht anmacht, kommt es auch nicht in die Geschichte. Und natürlich fließen eigene Erinnerungen mit ein. Das ist immer eine Mischung aus: "es war wirklich so", "hätte so sein können" und "wäre schön gewesen". Aber was ich wirklich erlebt habe und was erfunden ist, das ist natürlich mein Geheimnis.