Essen. Viel Pomp, ein Durchmarsch der Favoritin und Kritik am Regime in Aserbaidschan: Der Eurovision Song Contest in Baku ist am Samstagabend mit einem überlegenen Sieg der Schwedin Loreen zu Ende gegangen. Moderatorin Anke Engelke übte bei der Verkündung der deutschen Punkte live Kritik an der Regierung Aserbaidschans.

Favoritensieg beim Eurovison Song Contest (ESC) in Baku: Wie von den Buchmachern vorausgesagt, hat die Sängerin Loreen mit ihrem Song Euphoria die 57. Auflage des Gesangswettbewerbs für Schweden überlegen gewonnen. Roman Lob, der für Deutschland an den Start ging landete auf Rang acht – und damit weiter vorne, als viele im Vorfeld gedacht hatten.

Weit nach Mitternacht war es in Deutschland, früher Morgen in Baku, da streckte Thomas D. die geballte Faust in den Himmel und zog kurz Bilanz: „Die Besten im Westen“, lobte Roman Lobs musikalischer Mentor und Jurypräsident der deutschen Vorentscheidung seinen Schützling und sich. Was geographisch zwar angesichts des Siegs von Schweden nicht ganz korrekt ist, aber offenbar die Begeisterung im deutschen Team widerspiegelt. Lob selbst fasste sich wenige Minuten später noch kürzer. „Alles super.“

Roman Lob kann mit sich zufrieden sein

In der Tat kann der 21-Jährige aus Neuwied zufrieden sein. Mit der Startnummer 20 trat er auf die große Bühne im Crystal Palace und lieferte mit Standing Still einen überzeugenden Auftritt ab. Und wäre es nur um Musik gegangen, Lob wäre wohl noch ein paar Plätze weiter oben gelandet. Aber nur um Musik geht es beim ESC ja schon lange nicht mehr. Sonst wären die – zugegeben sehr unterhaltsamen - russischen Großmütter Buranowski Babuschki wohl nicht auf Rang zwei gelandet.

Aber es sind nicht mehr die so gerne bemühten Verschwörungstheorien, nach denen sich vor allem die Staaten des ehemaligen Ostblocks die Punkte gegenseitig zuschieben, die manche Platzierung für mitteleuropäische Ohren so unverständlich machen, es ist der unterschiedliche Musikgeschmack. Was zwischen London und Rom gefällt, entlockt den Menschen in den früheren Sowjetrepubliken oft nur ein müdes Gähnen. Keiner musste das in diesem Jahr schmerzvoller erfahren als das Mutterland des Pops. England hatte für den ESC Engelbert Humperdinck aus dem musikalischen Ruhestand geholt – und landete auf dem vorletzten Platz. „Desaster“ urteilte die britische Presse noch in der Nacht. "Wenigstens sind wir nicht letzte geworden", ätzt etwa die "Daily Mail" in ihrer Online-Ausgabe.

Schweden gewann den ESC zuletzt 1999

Wer ihn gewinnen will, diesen europäischen Gesangswettbewerb, der muss die Zuschauer in allen 42 abstimmenden Ländern erreichen. So wie es Lena vor zwei Jahren geschafft hat. Und wie es 2012 Loreen gelang, die – wie es der etwas geschwätzige deutsche Kommentator Moderator Peter Urban ausdrückte – Punkte aus Osten Westen, Süden und Norden bekam. So sicherte sie sich am Ende mit 373 Punkten und 113 Zählern Vorsprung auf Rang zwei den Sieg so überlegen und frühzeitig wie der BVB die deutsche Fußballmeisterschaft. Es war der fünfte ESC-Sieg für Schweden. Zuletzt gewann das Land 1999 mit Charlotte Perelli und dem Titel „Take Me To Your Heaven“.

Loreen, mit bürgerlichem Namen Lorine Zineb Noka, sieht nicht unbedingt aus, wie man sich eine Schwedin für gewöhnlich vorstellt. Stattdessen wirkt sie mit ihrem dunklen Teint und den langen schwarzen Haaren eher wie eine entfernte Verwandte von Ronja Räubertochter. Was an ihren marokkanischen Wurzeln liegt. 1983 als Tochter marokkanischer Eltern in Stockholm geboren und in Västerås aufgewachsen, ist sie in ihrem Heimatland schon lange keine Unbekannte mehr. 2004 wurde sie Vierte bei der Castingshow "Idol", dem schwedischen Pendant von "Deutschland sucht den Superstar", damals unter dem Namen Lorén Talhaoui.

Loreen wollte eigentlich nicht antreten - bis sie "Euphoria" hörte

Ins ESC-Licht rückte Loreen erstmals im vergangenen Jahr beim nationalen Vorentscheid, der in Schweden Melodifestivalen heißt. Für ein Ticket ins Finale nach Düsseldorf reichte es 2001 allerdings nicht – anders als in diesem Jahr. Dabei, verriet sie im Vorfeld, habe sie eigentlich nicht noch einmal teilnehmen wollen. „Bis ich Euphoria zum ersten Mal gehört habe.“ Der trotz des Titels über weite Strecken eher minimalistische, teils sogar düstere Pop-Song gefiel der 28-Jährigen so gut, dass sie noch einmal antrat – und siegte.

Barfuss, kaum geschminkt und bis kurz vor Ende ganz allein auf der Bühne hat sie das Lied in Baku präsentiert und sich dazu in einer Mischung aus der brasilianischen Kampfkunst Capoeira und Hexentanz bewegt. Keine große Show, nur ein wenig Kunstschnee, der von der Decke rieselte.

Klotzen statt Kleckern als Motto in Bakus Crystal Hall

Ansonsten wurde eher geklotzt denn gekleckert beim Eurovision Song Contest in der neu erbauten Crystal Hall. Bei den Auftritten der Teilnehmer, mehr aber noch in den Showteilen der Gastgeber. Flammenfontänen auf der Bühne und Feuerwerk in der ganzen Halle – Baku musste sich nicht verstecken hinter der Show, die es vor einem Jahr in Düsseldorf zu sehen gab. Lediglich über den Auftritt von Emin Agalarov, milliardenschwerer Superstar in Aserbaidschan und Schwiegersohn von Präsident Ilham Aliyev, der nach minutenlangem bombastischem musikalischen Vorspiel wie Rambo von der Decke schwebte, kann man streiten.

So zufrieden die Veranstalter mit der im wahrsten Sinne des Wortes blendenden Inszenierung ihrer Show sein dürften - eine andere Siegerin wäre ihnen möglicherweise lieber gewesen. Denn anders als die meisten anderen Teilnehmer ist Loreen offenbar nicht nur zum Singen nach Baku gekommen. Schon im Vorfeld des Finales traf sie sich mit Oppositionellen und forderte mehr Rechte für Frauen und Homosexuelle. Die Pressekonferenz der Siegerin am frühen Morgen wurde deshalb im aserbaidschanischen TV nicht live übertragen.

"Es ist gut, eine Wahl zu haben", sagte Anke Engelke

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So blieb für die geschätzt rund 120 Millionen Fernsehzuschauer in aller Welt nur Anke Engelke, die die deutschen Punkte verlas. Nach den üblichen Komplimenten an die Veranstalter und den Dank an alle deutschen Helfer überraschte sie die stoisch lächelnden Moderatoren in der Halle mit den Worten: „Heute Abend konnte niemand für sein eigenes Land abstimmen. Aber es ist gut, wählen zu können. Und es ist gut, eine Wahl zu haben. Viel Glück auf Deiner Reise, Aserbaidschan! Europa beobachtet Dich! Hier sind die Punkte der deutschen Jury...“

Im nächsten Jahr wird nun also in Schweden gesungen. Am 18. Mai, wahrscheinlich in Stockholm. Ob ProSieben und die ARD dafür wieder gemeinsam einen Teilnehmer suchen, ist anscheinend noch nicht sicher. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins Spiegel wollen beide Sender das Format „grundsätzlich überdenken“.