Nürnberg. 120 Werke, die größte Ausstellung seit 40 Jahren: Das Germanische Nationalmuseum Nürnberg präsentiert die frühen Jahre des Kunst-Genies. Nur sein „Selbstbildnis im Pelzrock“ kam nicht, weil es nicht transportfähig war. Dafür gibt es Bilder aus dem Louvre und dem Prado.
Nach langem Hin und Her kam Albrecht Dürers „Selbstbildnis im Pelzrock“ von 1500 nicht, es blieb in der Alten Pinakothek in München, nicht transportfähig, wie es hieß. Das galt auch für die Selbstporträts aus Madrid und dem Louvre, davon gibt es nun Reproduktionen. Aber sonst ist alles echt, die beiden hinreißend gekleideten Musikanten vom Jabach-Altar etwa, der Pfeifer vorwiegend in Grün und Gold, der Trommler in Rot und Braun. Und: Ist er’s oder ist er’s nicht? Ist der Trommler mit den Korkenzieherlocken ein Selbstbildnis von Dürer? Es bleibt umstritten. Aber die Haare und der Bart sind schon verflixt ähnlich.
Wenigstens ist das „Selbstbildnis“ von 1484 gesichert, es zeigt den Dreizehnjährigen. Es ist das früheste der frühen Dürer-Werke. Es geht ja um den frühen Dürer, den suchenden. Die Frühzeit endet 1505, als Dürer sich nach Italien begibt, zu neuen Ufern.
Doch der junge Mann wollte erst mal ins Elsass zu Martin Schongauer – nachdem er 1490 seine Eltern malte. Die Bilder, eines aus Florenz, das andere aus Nürnberg, verströmen, weil sie sonst nie zusammen hängen, eine überraschende Vertrautheit. Sie weisen Dürer schon mit unter 20 als Profi aus, der nicht nur „fotografieren“ konnte, sondern Gesichter malte, als würde er immerzu ein Stempelkissen für Seelen mit sich führen.
Dennoch war Dürer ein Künstler, der auch Zirkel und Lineal liebte – anders als sein großer, hier abwesender Gegenspieler Grünewald. Dürer war Mathematiker, Grünewald ein Easy Rider. Dürer suchte Vollendung, Grünewald das Risiko. Ansonsten wird das Umfeld gründlich ausgeleuchtet. Der Blick geht auf die Anfänge vor den Anfängen. Es war die Nürnberger Kulisse mit Veit Stoß als Bildhauer, Willibald Pirckheimer als Humanisten und Hartmann Schedel als Weltchroniker.
Dürer war ein Mann mit Migrationshintergrund, der Vater stammte aus dem hintersten Ungarn, aus Ajtós, und hieß auch so. Nachdem er sich in Nürnberg als Goldschmied niedergelassen hatte, benannte er sich um, Ajtós hieß Türmacher, also Türer. Daraus wurde, auf Fränkisch, Dürer.
Von geradezu samtener Schönheit ist die „Haller-Madonna“ aus Washington (um 1498). Sie ist schön, aber irgendwie auch vornehm-distanziert, klassisch-kühl. Wenn da nicht das Jesuskind wäre, das neckisch sein Bein anwinkelt, den dicken Zeh abspreizt, geflissentlich einen Apfel vor seiner Mutter verbirgt und diese mit seinem Patschhändchen an ihrer Brust antippt.
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Die Ausstellung gönnt uns keine Pause. Tafelbilder, Aquarelle, Zeichnungen, Drucke: 197 Werke, 120 allein von Dürer. Er arbeitete gegen den Verschleiß des Lebens an. Herrlich gebrochen die Nackten im „Männerbad“ von 1496. Und dann der Knaller schlechthin: die Holzschnitte der Apokalypse von 1498. Auch wenn wir sie sattsam kennen – wer sieht, mit welcher Wucht die vier Reiter über uns hereinbrechen, verstummt.
Das Geheimnis vor den Bildern
Wie hat Dürer das alles nur fertiggebracht? Wie arbeitete der Meister? Autopsie war angesagt. Die Nürnberger sind einer Reihe von Bildern per Infrarotreflektografie und per Röntgenfluoreszenzanalyse auf den Grund gegangen. Zugegeben, da wird manches kleine Geheimnis gelüftet, etwa dass Dürer an der Staffelei etwas ausprobiert, dann verworfen und schließlich wieder neu angesetzt hat. Aber zugleich verflüchtigt sich auch ein Stück weit der Zauber. Wir lernen so viel über Farbschichten, Alter des Holzes, chemische Zusammensetzung. Wollen wir, sollen wir das alles wissen? Wieviel mehr wissen wir dann? Weniger, als wenn wir der wunderbaren Wahrheit des Künstlers vertrauen. Freude bemisst sich nicht nach der Wirkkraft von Röntgenstrahlen. Freude über Kunst ist direkt, ist Lust. Das Geheimnis von Kunst erlebt man nicht hinter den Bildern, sondern vor den Bildern. Deshalb sollte man schleunigst nach Nürnberg fahren.