Duisburg. .
„Von der herben Zartheit schöner Formen“: Das Duisburger Lehmbruck-Museum zeigt den Kunst-Superstar Max Klinger – eine eine Schau, die die Schönheit feiert, ohne den Schmerz zu vergessen.
Einmal hätte Max Klinger den Weg nach Duisburg zu Lebzeiten beinahe gefunden. Ob es nun an der Aussicht auf „beste Duisburger Weine“ lag oder daran, dass er schlichtweg keine Fahrkarte bekam: Klinger blieb der Einladung fern – und trifft nun, über 90 Jahre nach seinem Tod, im Duisburger Lehmbruck-Museum nicht nur auf späte verdiente Aufmerksamkeit, sondern auch auf einen Dialogpartner nach Maß: Wilhelm Lehmbruck.
„Von der herben Zartheit schöner Formen“, so der Titel der Ausstellung, die Duisburg nach dem thüringischen Apolda zeigt, bringt erstmals zusammen, was gut zusammengeht. Zwei von Anmut, Melancholie und symbolistischer Denkungsart nicht unbeeindruckte Künstler, die die Empfindsamkeiten menschlicher Seele in Bronze gossen. So versonnen Klingers „Badendes Mädchen, sich im Wasser spiegelnd“ auf ihrem Podest steht, könnte sie eine Schwester sein von Lehmbrucks Frauenfiguren im Nachbartrakt des Museums.
Klinger galt schon zu Lebzeiten als „Superstar“
Dass beide Künstler am Ende des 19. Jahrhunderts dabei unterschiedliche Popularität erlangten, belegt die Tatsache, dass sich die Klinger-Bücher zu Lebzeiten bereits türmten, während die große Lehmbruck-Monographie bis heute fehlt. Das soll sich auf Sicht hoffentlich ändern. Museums-Direktor Raimund Stecker kündigte gestern für die nächsten Jahre den Aufbau eines Lehmbruck-Archivs an, mit dem sich das Haus endgültig zum Mittelpunkt der weltweiten Lehmbruck-Forschung machen will.
Max Klinger, der Fabrikantensohn aus Leipzig, gilt freilich schon zu Lebzeiten als „Superstar“, als lebendes Genie, das nicht nur Giorgio De Chirico, Käthe Kollwitz und Alfred Kubin beeinflusst, sondern eben auch Wilhelm Lehmbruck. Dieser Gesamtkünstler, Musikbegeisterte, Philosophen-Freund und Frauenliebhaber, sieht sich in der Welt um und er sieht die Lücke, die die Kunstgeschichte ihm offenbart.
„Unser neuer Dürer“
Von Hause aus Maler, eignet sich Klinger nicht nur die Bildhauerei autodidaktisch an. Er erhebt vor allem die Radierung – von den Kupferstechern des 19. Jahrhunderts zum Reproduktionsmittel degradiert -- wieder virtuos zur Kunst von eigener Hand. „Klinger ist unser neuer Dürer“, ruft da nicht nur Hugo von Hofmannsthal begeistert.
Elf Graphik-Zyklen in zehn Jahren sind die stolze Bilanz dieses ebenso besessenen wie gesellschaftskritischen Arbeitens, darunter das wuchtige Werk „Ein Leben“, das sich dem Schicksal von Prostituierten widmet. Was Klinger darin 1884 über Männer und Frauen, über Sex und Moral, über Macht und Ohnmacht in tabulose Erotik-Szenen fasst, erstaunt bis heute in der dicht gehängten Schau, die ein Konvolut der Klinger-Grafik voller Mythologie und Symbolismus zeigt sowie Exlibris, Gemälde und Plastiken, darunter „Kassandra“, die „Kauernde“ und eine kleine Nachbildung jener Beethoven-Skulptur, deren monumentales Original heute in Leipzig thront. Eine Figur voll angespannter Kraft und nachdenklicher Konzentration, die Klingers Zeitgenossen zunächst amüsierte und die später stilbildend wurde.
Leben, Liebe und Tod
Klinger ist kein Salonmaler und er benutzt schon gar kein Feigenblatt. Als er den Gekreuzigten nicht hoch erhoben am Kreuz malt, sondern nur auf Höhe der Trauernden, ist der Skandal da. Vor allem aber die Darstellung Christi als Mensch und entblößter Mann bringt die Kritiker in Wallung. Klinger wird gezwungen, dem Gekreuzigten einen Lendenschurz überzumalen – er war aber leicht zu entfernen.
Leben, Liebe, Tod, das bleiben die großen Themen des Künstlers, der viele Amouren heiratet. Seine letzte Frau, die junge Gerlinde Bock, ehelicht er mit 62. Ihr lockend-leichter Akt in den Dünen ist der Einstieg in eine Schau, die die Schönheit feiert, ohne den Schmerz zu vergessen.