Frankfurt. Als Teenager war Clemens J. Setz ein Nerd: Computer waren sein Ding, Bücher eher nicht. Im Interview erzählt der Autor, einer der Finalisten des Deutschen Buchpreises, wie er durch Ernst Jandl zum Schreiben kam. Und er erklärt, warum er seinen ersten Roman niemals veröffentlicht ha.

Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?

Clemens J. Setz: Ich habe in der Schule mit 15, 16 überhaupt nicht gelesen, habe mich nur für Computer interessiert. Eines Tages habe ich im Unterricht Gedichte gehört, Ernst Jandl oder so etwas. Ich habe begonnen, mit einem Freund eine Parodie auf das Gedicht zu schreiben. Und eh man sich versieht, entstanden 50 oder mehr Parodien. Ich interessierte mich dann auch für Bücher, habe eine Tour de Force durch die Weltliteratur unternommen. Ein fieberhafter Einstieg. Dann wollte ich diese Freude, die mir Bücher bereiten, zurückgeben. Das war mir ein ganz existentielles Bedürfnis.

Womit haben Sie angefangen?

Clemens J. Setz: Lange Zeit Gedichte, dann Kurzprosa, dann Längeres – und plötzlich war der erste Roman tausend Seiten lang, den habe ich mit der Hand geschrieben, so in Ringmappen, in winzig kleiner Schrift. Ich dachte, schau, ich kann ja einen Roman schreiben! Allerdings habe ich mich entschieden, ihn nicht zu veröffentlichen. Ich dachte, das ist einfach zu sehr Anfängerwerk.

Die Frequenzen sind Ihr zweiter veröffentlichter Roman, er hat die Familie zum Thema.

Clemens J. Setz: Ich weiß gar nicht, ob das das Thema ist… es ist ja kein Sachbuch. Also, klar kommt Familie vor, aber…

Clemens J. Setz. (Foto: Lukas Beck)
Clemens J. Setz. (Foto: Lukas Beck) © Lukas Beck

Was würden Sie sagen, was das Thema ist?

Clemens J. Setz: Das finde ich schwierig zu beantworten – man würde ja auch nicht sagen, Moby Dick behandelt den Walfang, das wäre ja schon fast eine Lüge. Oder Ulysses ist ein Roman über einen Tag in Dublin. Das ist nichts, irgendwie. Mein Roman ist ein Roman über – Kettenreaktionen und die Verstrickungen einer Familie, das wäre aber fast schon gelogen, wenn man das so sagt, verstehen Sie das?

Natürlich. Aber man will doch als Rezensent gerne etwas zum Festhalten haben, etwas, durch das man den Roman in Kürze von anderen unterscheiden kann.

Clemens J. Setz: Ja klar, das ist das Recht eines Kritikers, zu vereinfachen. Je eleganter und polemischer das ist, desto wirksamer ist dann die Kritik.

Genau. Und desto mehr Leute lesen die Kritik – und dann vielleicht auch das Buch.

Clemens J. Setz: Die wirkliche echte, aufrichtige Leseempfehlung scheint mir aus der Mode gekommen. Es scheint doch eher darum zu gehen, dass Kritiker sich positionieren untereinander. So wie die Vögel am frühen Morgen, die im Baum zwitschern und hören, wo sind die anderen Vögel? Das hat mit Hackordnung zu tun. So scheint mir Literaturkritik zu funktionieren. Es geht immer darum eloquent zu sein, polemisch, einen guten Job zu machen. Nicht darum, den Leute zu sagen: Lest dieses Buch, es kann nicht sein, dass es nicht gelesen wird.

Deutscher Buchpreis 2009

Wie sähe denn Ihre eigene Leseempfehlung für Ihr Buch aus?

Clemens J. Setz: Oh, das ist sehr schwer! Jaja, sicher, man kann sich nicht einfach nur beschweren… Was würde ich sagen? Wer Spaß hat an Kettenreaktionen, die etwas von der Unaufhaltsamkeit des Lebens selbst haben, dann kann man das Buch sehr gut lesen. Wenn man etwas anderes lesen will als nur eine spannende Story über einen Protagonisten, der Hindernisse zu überwinden hat und am Ende dafür belohnt wird. So würde ich vielleicht versuchen, es zu verkaufen. Das hat mich noch nie jemand gefragt, das finde ich lustig. Ja, das ist gut.

Würden Sie sich wünschen, dass die Literatur wieder spielerischer wird?

Clemens J. Setz: Ach, sich wünschen… Die Bewegung ist wieder weg von den experimentellen Formen hin zu den ganz, ganz einfachen, die keine Arbeit erfordern beim Lesen. Der Leser wird an die Hand genommen – das ist gerade so der Standard. Ich denke da an Glavinic, Kehlmann, Wolf Haas… Vielleicht kann ja das Pendel auch wieder einmal woanders hinschwingen, das würde ich mir vielleicht wünschen. Geschichten zu erzählen in klassischer Manier ist genauso eine Kunst wie das Erzählen in nicht-klassischer Manier. Ich entwickele ja auch kein neues Genre, es hat ja alles schon einmal gegeben.

Gab es Vorbilder für Sie, Anregungen?

Clemens J. Setz: Es ist wirklich für diesen Roman ganz wichtig gewesen das Werk von Nabokov, als hohe Latte, die man nie überspringen wird natürlich. Proust. Das sind so die Berge, neben die man sich setzen kann wenn man sein eigenes, kleines Hügelchen baut. Vor zwei Jahren habe ich Infinite Jest gelesen, das war zwar nach dem Roman, aber eine Bestätigung, dass man eben auch nicht-linear erzählen kann. Das hat so eine fraktale Schönheit, ein Muster, das aus dem Chaos entsteht. Jetzt ist es auf Deutsch raus, und der Geheimtipp ist kein Geheimtipp mehr.