Frankfurt. Alle schreiben über Globalisierung, er schreibt über die Eifel: Norbert Scheuer. Im Interview erklärt er, was er an Thomas Mann nicht leiden kann und warum die Heimat für ihn ganz ohne Verherrlichung ein wichtiges Thema ist.

Wann haben Sie zu schreiben begonnen?

Norbert Scheuer: Das hat angefangen, als ich Philosophie studierte. Da wollte ich philosophische Bücher schreiben, die Welt aus den Angeln heben. Weil es nicht so einfach ist, neue Ideen zu entwickeln, kam mir der Gedanke, einfach nur Sachen zu beschreiben, eine Art Phänomenologie. Irgendwann wurden daraus Kurzgeschichten. Ich hatte gar nicht das Ansinnen, Schriftsteller zu werden, war aber in universitären Schreibzirkeln und so. Da war ich 32 Jahre alt, ich habe das zweite Studium ja relativ spät begonnen.

Ihrem Roman merkt man diesen Beginn an: Das genaue Hinschauen, das genaue Beschreiben…

Norbert Scheuer: Das ist in vorhergehenden Büchern noch viel stärker, dass ich mir die Reflexionen versagt habe. Wenn ich über das Leben oder bestimmte Sachen nachgedacht habe, habe ich mir immer gesagt: Das ist ja Blödsinn, das weiß ja sowieso jeder. Ein schönes Beispiel ist für mich Thomas Mann, der immer Sachen erzählt, die man in jedem Philosophiebuch nachlesen kann.

Nun haben vielleicht nicht alle so viele Philosophiebücher gelesen wie Sie.

Norbert Scheuer: Naja, es gibt ja die These, dass er im Grunde nur den Brockhaus abgeschrieben hat. Jedenfalls habe ich einen Widerwillen dagegen, wenn jemand in Romanen anfängt zu psychologisieren oder zu philosophieren. Und das hängt damit zusammen, dass die Leute ja selbst darüber nachdenken könnten.

Ein Ansatz, der aber doch unzeitgemäß ist – das Psychologisieren scheint mir im Trend zu sein.

Norbert Scheuer: Unzeitgemäß, kann sein. Aber eigentlich ist das immer gut, wenn man unzeitgemäß ist.

Deutscher Buchpreis 2009

Das war auch durchaus positiv gemeint. Gleiches gilt ja auch für Ihr Thema, die Heimat. Alle schreiben über Globalisierung, Sie schreiben über die Eifel.

Norbert Scheuer: Ja, genau!

Vielleicht könnten Sie doch kurz einmal psychologisieren: Was bedeutet Heimat eigentlich?

Norbert Scheuer: Heimat ist ja so ein Begriff, der negativ besetzt ist. Er kam auf mit der Industrialisierung, als die ländliche Bevölkerung zum Arbeiten in die Stadt ging. Dagegen hat man dann die Idylle des Landlebens geschaffen und propagiert. Das hatte dann immer so etwas Verherrlichendes. Dieses Bild hat sich in Deutschland gehalten – in Amerika spielen fast alle großen Romane auf dem Land, da wird Heimatliteratur anders wahrgenommen. Bei uns ist sie im 18., 19. Jahrhundert missbraucht worden vom Großbürgertum. Ich persönlich sehe Heimat nur als den Ort, wo man lebt. Das kann eigentlich überall sein. Das, was ich in meinen Romanen beschreibe, ist ja nicht die Eifel als Heimatort, sondern die Eifel als literarischen Ort.

Aber würden Ihnen an einem fremden Ort nicht die Wurzeln fehlen?

Norbert Scheuer: Das Eigentümliche ist, dass ich wahrscheinlich nur deshalb so über die Eifel schreiben kann, gerade weil mir die Wurzeln fehlen. Ich bin zwar in der Eifel geboren und lebe dort auch heute wieder, habe aber immer wieder die Orte gewechselt – als ich 17 Jahre alt war, hatte ich fünfmal den Wohnort gewechselt. Dann kommt natürlich nie eine Bindung zu dem Ort zustande, sondern immer so eine Art Distanz.

Wie kam denn das, dass Sie als Kind so oft umgezogen sind?

Norbert Scheuer: Meine Eltern hatten Gaststätten, die sie an unterschiedlichen Orten gepachtet hatten. Eine Zeitlang war ich auch gar nicht bei meinen Eltern, sondern bei Bekannten. Ich glaube, dass dadurch meine distanzierte Sichtweise entstanden ist, das ich dadurch die Leute so beobachten kann. Sonst wäre das vielleicht gar nicht möglich.