Frankfurt. Kathrin Schmidt hat den Buchpreis 2009 gewonnen, indem sie sich literarisch mit ihrer eigenen Krankheit auseinandersetzte. Im Interview spricht sie darüber, wie viel Narzissmus in solch einem Thema steckt - und wie es ist, wenn eine Krankheit einen "total umstülpt".

Wie geht die Gesellschaft heute mit Krankheit um?

Kathrin Schmidt: In meinem Buch kann die Kranke ihre Lage ja zunächst gar nicht erkennen. Sie empfindet zwar das Gefühl des Ausgeliefertseins, aber nicht des Ausgeschlossenseins. Der Familienkontakt ist sehr intensiv. Grundsätzlich aber gilt: Wenn Sie im Krankenhaus sind, sind Sie ausgegrenzt. Aber es muss ja auch eine gewisse Absonderung von der Gesellschaft erfolgen, zwangsläufig, unter medizinischen Gesichtspunkten.

Wie empfinden Sie die Darstellung von Christoph Schlingensief oder Jürgen Leinemann, die über ihre Krebserkrankungen schreiben?

Kathrin Schmidt: Darüber möchte ich eigentlich gar nicht urteilen. Ich bin da selbst mit mir uneins. Einerseits empfinde ich das schon als narzisstisch, seine eigene Geschichte so auszustellen – andererseits aber habe ich das selbst ja auch gemacht.

Allerdings in einer verfremdeten, literarischen Form.

Kathrin Schmidt: Ich hatte das eigentlich auch nie vor, hatte auch nach meiner Erkrankung zunächst einen anderen Roman geschrieben. Dann aber hatte ich etwas geschrieben, was dann die ersten Seiten des Romans wurden – und merkte, dass das jetzt geht. Dann konnte ich das Buch schreiben, konnte schreiben über die Rückeroberung einer Sprache, über den Verfall oder Nicht-Verfall einer Liebe. Ich habe meine Geschichte zur Grundlage gemacht, aber eine fiktive Geschichte darüber gebaut.

Deutscher Buchpreis 2009

Aber das Thema Krankheit ist der Kern?

Kathrin Schmidt: Das Thema war für mich interessant, weil es mit einer Neukonstituierung einer ganzen Persönlichkeit vonstatten ging, was ja bei normalen Krankheiten nicht der Fall ist. Das war eine Krankheit, die einen total umstülpt. Insofern habe ich diesen Identitätswirrwarr zum Anlass genommen, die anderen Themen mit reinzuwerfen in den Topf und aus den Verwirbelungen zu sehen, was da entsteht.

Glauben Sie, dass Sprache für unsere Identität ausschlaggebend ist?

Kathrin Schmidt: Für meinen Fall möchte ich das zumindest behaupten. Für mich war Schreiben schon immer das Wichtigste, schon in meiner Kindheit. Ich bin, was die gesprochene Sprache angeht, nicht extrovertiert, eher zurückhaltend, in größeren Gruppen rede ich nicht gerne. Das ist nur die geschriebene Sprache, die für mich so existentiell ist. Der Verlust dieser Sprache war einfach schrecklich.

Woran arbeiten Sie gerade?

Kathrin Schmidt: Ich schreibe jetzt wieder Gedichte – im Frühjahr erscheint ein Gedichtband, darüber freue ich mich unheimlich. Ich schreibe auch an einem neuen Roman. Der ist wieder ganz anders, sprachlich wie thematisch. Es geht um zwei jüdische Schwestern jenseits der 50, die sich als Funktionärskinder in der DDR ihres Judentums überhaupt nicht bewusst gewesen sind.