Essen. . Abenteuer und Atemlosigkeit für alle: Der Regisseur Martin Scorsese verzaubert mit seinem ersten 3D-Film „Hugo Cabret“
Dieser Film ist eine große Liebeserklärung. Er schaut zurück mit einem langen sentimentalen Blick und versichert sich zugleich einer großen gemeinsamen Zukunft. Martin Scorsese und seine Lebens-Leidenschaft, das Kino – mit „Hugo Cabret“, der 3D-Kinderbuchverfilmung nach Brian Selznick, hat diese Verbindung ihr vorläufiges Happy End gefunden, das im allerbesten Fall bei den Oscars am 26. Februar mit elf Auszeichnungen gekrönt werden könnte.
Scorsese als nostalgischer Familienfilmer, das erstaunt zunächst nach blei- und bluthaltigen Mafiafilmen wie „Departed“ oder dem Boxer-Drama „Raging Bull“. Nun ist der bald 70-jährige Regisseur noch einmal spät Vater geworden, was eine Erklärung sein könnte. Aber die Geschichte betrifft doch vielmehr ihn selbst. Ihn, den kleinen, asthmakranken Martin, der nicht mit den anderen Kindern toben kann und stattdessen mit seinem Vater ins Kino geht, wo es auch für ihn Abenteuer gibt und erlaubte Atemlosigkeit.
Die Faszination für die alles möglich machende Erfindung Film hat er nun mit Brillanz und jahrzehntelanger Erfahrung in eine Story gesteckt, die weit zurückführt in die Kinogeschichte und uns gleichzeitig mit einem Techniktrend versöhnt, an dessen Innovations- und Überzeugungskraft man schon zweifeln mochte. Weil 3D zuletzt kaum mehr war als ein Marketinginstrument, oft ohne Sinn und Tiefe.
Aber wenn die Kamera nun mit dem kleinen Hugo (Asa Butterfield spielt ihn voll leiser Inbrunst) durch die Versorgungsschächte des Pariser Gare Montparnasse klettert, mit ihm die Bahnhofshalle anno 1930 durchmisst und einen entgleisenden Zug (als Anspielung auf eine berühmte Filmszene der Kinoerfinder Lumière) in die Kulissen krachen lässt, dann sieht man, was man nach „Avatar“ lange vermisst hat: Dynamik und Perfektion, die schiere Überwältigung der Bilder, die Liebe zum Detail. Hier trumpft die Technik nicht als gebieterische Herrin der Erzählung auf, sondern bleibt ihr Diener. Lässt die Schneeflocken vor unserer Nase tanzen und Croissants so butterglänzend locken, dass man wie Hugo einfach zugreifen möchte. Aber da ist der Bahnhofsvorsteher vor („Borat“ Sacha Baron Cohen als Soldat mit weichem Herzen und steifem Bein), der dem armen Waisenjungen auf den Fersen ist, weil Hugos versoffener Onkel ihn mit nichts als einem Amt zurückgelassen hat. Hugo sorgt dafür, dass die Bahnhofsuhren richtig ticken.
Und noch eine technische Herausforderung hält den Jungen in Atem. Ein Maschinenmensch, der aussieht, als wäre er aus „Metropolis“ ausgebüxt, eine Erinnerung an Hugos toten Vater (Jude Law). Um den geheimen Funktionen des Metallmenschen beizukommen, klaut Hugo sich Ersatzteile im Spielzeugladen von Monsieur Georges (Ben Kingsley). Das setzt eine Kette von Ereignissen, Erinnerungen und Botschaften in Gang, die Scorsese mit sicherem Gespür für Figuren und Effekte ausbreitet. Hugo braucht einen Schlüssel für sein Mechanikwesen. Den findet er bei der kleinen Isabelle (Chloe Grace Moretz) und entdeckt damit die wahre Geschichte des alten Monsieur George, der vor seinem strengen Regiment im Geschäft mal ein Filmstudio führte. Eine große Bühne für Illusionen aller Art. Eine frühe Traumfabrik. Monsieur Georges, der Kinopionier Georges Méliès, drehte dort bis 1914 über 500 Filme. Bis ihn der Krieg, die Technik und schließlich das Vergessen einholten. Scorsese hebt diesen verlorenen Schatz nun mit Hingabe.
Der Mann im Mond
Mit kindlicher Neugier und spielerischer Lust eröffnet der Regisseur dieses große Kapitel früher Kinogeschichte auch für alle jene, die von Méliès noch nie gehört haben. Der Mann im Mond, dem eine Rakete ins Auge fliegt, wird ihnen nun unvergesslich sein. „Hugo“ ist eben kein 3D-Film, auch kein Kinderfilm, sondern ein Liebesfilm – für kleine und große Kinoliebhaber.