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Christa Wolfs neuer Roman „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“ erscheint am Montag: Ein Skrupelbad und eine deutsche Geschichte in Los Angeles, die so lässig anläuft wie selten - mit Anflügen von Ironie und Scherzen wie dem alten DDR-Pass.

Inder Mitte dieses Romans, dem nicht nur der Titel zu lang geraten ist, steht der Satz, um den herum Christa Wolf ihn geschrieben hat: „Ich hatte das vollkommen vergessen.“ Was, das stand in diesem dünnen grünen Aktendeckel.

Der war explosiver als die 42 dicken Aktenordner, die sie in der Gauck-Behörde studiert hatte. Darin stand, wer von der Stasi sie in 20 Jahren be­schattet, verraten, denunziert hatte und wie die „Firma“ das Gerücht in die Welt setzte, sie hätte ihre Unterschrift gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann zurückgezogen.

Aber nun standen der Autorin „die Haare zu Berge“, denn es gab diese grüne „Täterakte“ über sie. Mit einem Bericht über einen Kollegen und Notizen der Stasi, die sich mit ihr traf: „Ich hatte das vollkommen vergessen, und merkte selbst, wie unglaubwürdig das klang.“ Das wird auch 200 Seiten später noch verhandelt, ergründelt.

Selten so entspannt, so lässig

Günter Grass hatte sich vor vier Jahren in der Autobiografie „Beim Häuten der Zwiebel“ über seine SS-Erinnerungslücken fast en passant hinwegge­nebelt. Sein DDR-Pendant da­gegen rückt nun das Hadern mit der Erinnerung in den Mittelpunkt des neuen Romans „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“, der am Montag erscheint.

Die Autorin, die in diesem Buch nicht nur „ich“ sagt, sondern sich auch hin und wieder mit „du“ anredet (wie im „Kindheitsmuster“), ähnelt in vielem Christa Wolf. Auch sie sprach am 4. November 1989 bei der Demo auf dem Alexanderplatz, auch sie brachte Anfang der 90er-Jahre etliche Monate im warmen, pulsierenden Los Angeles zu. Währenddessen brannten in Deutschland die Asylantenheime und manche Feuilletons nahmen den IM-Aktendeckel der prominentesten und intelligentesten DDR-Autorin als dankbaren Vorwand für eine Ge­ne­ralabrechnung mit der an­geb­lichen „Staatsdichterin“ und der „Gesinnungsästhetik“.

Selten aber ist ein Roman von Christa Wolf so entspannt, so lässig angelaufen, mit Anflügen von Ironie und Scherzen wie dem alten DDR-Pass, den sie einem verwirrten Grenzbeamten reicht. Die US-Westküste tut dem Roman gut, nicht nur atmosphärisch. Sie stellt eine gesunde Distanz zum Geschehen in Deutschland her, und der Pazifik relativiert immer wieder das Skrupelbad der Autorin, die sich zu erklären versucht, warum sie bis zuletzt in der DDR geblieben ist, obwohl sie nur zu genau um die Schattenseiten des SED-Regimes wusste.

Psychosomatischer Katastrophenalarm

Und weil Los Angeles für die von den Nazis ins Exil gejagten Intellektuellen wie Thomas Mann, Brecht, Adorno und Schönberg auch das „Weimar unter Palmen“ war, schlägt der Roman einen gelungenen Bogen vom Ende zum Beginn des 20. Jahrhunderts. So kann er, so kann die Autorin, die drei deutsche Staatsformen erlebte, der Geschichte des Landes sorgfältig auf den Grund gehen. Das alles bleibt indes nicht frei von allzu dick aufgetragener Symbolik, argen Zufällen und manchem Klischee.

Vordergründig sucht die Autorin nach Spuren von L., einer Exilantin, die ihrer Freundin Emma Briefe nach Berlin, Ost schrieb. Vordergründig auch arrangiert sie sich mit der amerikanischen Alltagskultur, bis hin zum Besuch eines Gospel-Gottesdienstes, in dem sie sich hinreißen lässt, zum ersten Mal nach vierzig Jahren wieder am Abendmahl teilzunehmen. Überhaupt lernt sie die Leichtigkeit des Lebensgefühls schätzen, während ihr Körper auf die Angriffe aus Deutschland mit einem psychosomatischen Katastrophenalarm reagiert. Das will man vielleicht nicht unbedingt alles wissen. Aber es ist der Reflex des Nichts-mehr-Vergessen-Wollens.