Berlin.
Christa Wolf hat in der Berliner Akademie der Künste aus ihrem neuen Roman „Stadt der Engel“ gelesen - und dann gesagt, dass dies wohl ihr letztes „dickes Buch“ sei. Und auch an diesem Abend tauchte wieder die Frage nach dem Warum auf.
„Das war’s.“ Christa Wolf hebt den Blick, schaut in einer Mischung aus Erwartung und leisem Trotz ins Publikum. Sie hat zum ersten Mal aus ihrem neuen Roman „Stadt der Engel“ gelesen. Später wird sie sagen, dass dies wohl ihr letztes „dickes Buch“ sei. Die Zuhörer, darunter viele Weggefährten, applaudieren stehend, bis die 81-Jährige mühsam an Krücken gehend die Bühne verlässt.
Es liegt eine seltsam berührende Stimmung über diesem Premierenabend in der Berliner Akademie der Künste. Christa Wolf, diese vielleicht wichtigste, in jedem Fall aber umstrittenste deutsche Schriftstellerin, macht keinen Hehl aus dem Dilemma des Altwerdens. Nicht in ihren Texten, und nicht auf der Bühne: Hier der hellwache Verstand, dort der ermüdete Körper; hier der schnoddrige Humor, die Lust an der selbstironischen Volte - dort, an den Tisch gelehnt, die Gehhilfen.
Empörtes Raunen im Publikum
Neben ihr sitzt einer, der nicht nur vom Alter her ihr Sohn sein könnte: Der Schriftsteller Ingo Schulze, der ostdeutsche Chronist der Wende und präzise Beobachter der wiedervereinigten Deutschen, stellt Autorin und Buch vor.
Eigentlich hatte Arno Widmann als Moderator zugesagt. Doch der Kritiker quittierte erst Wolfs „Stadt der Engel“ in der Frankfurter Rundschau mit einer skeptischen Besprechung und sagte dann ab.
Schulze dagegen hat den Roman verschlungen. „Es fiel mir schwer, das Buch wieder aus der Hand zu legen. Man läuft sogar Gefahr, es zu schnell zu lesen.“ Der 47-Jährige kennt sich gut aus in Wolfs Werk, er schätzt ihre „halsbrecherische Offenheit“ bei der Selbstschau – und hat beim Lesen Verwandtschaften ausgemacht: zu den Tagebuchnotizen „Ein Tag im Jahr“ von 2003, zum Reisebuch „Kindheitsmuster“ von 1976. Schulze glaubt, ein „Lebensmuster“ gefunden zu haben, aber Christa Wolf lacht ihn aus, das ist ihr dann doch zuviel Bilanz: „Also, ich sterbe bald oder wie?“ fragt sie in die Runde, mit dieser typischen, plötzlich aufblitzenden Schnoddrigkeit des Ostens. Durchs Publikum fegt ein empörtes Raunen.
„Wir haben dieses Land geliebt“
In der ersten Reihe sitzt Christa Wolfs Ehemann und wichtigster Ratgeber, der Germanist Gerhard Wolf. „Wir hatten das Gefühl, gebraucht zu werden“, hat seine Frau Minuten zuvor auf der Bühne gesagt. Weil auch an diesem Abend wieder die Frage nach dem Warum aufgetaucht ist: Warum hat Christa Wolf die DDR nicht verlassen? Warum sagt sie noch heute „Wir haben dieses Land geliebt“?
Es gibt mehrere Antworten. Eine davon ist wieder eine neue Frage: Was sollte sie denn im Westen? Sie, die Privilegierte, die geistige Anwältin einer gemäßigt dissidentischen Leserschaft. „Ein Buch wie ,Kassandra’“, sagt sie, „hätte ich woanders nicht schreiben können.“