Düsseldorf. Visions wird 20, Musikexpress 40, der deutsche Rolling Stone 15. Wenn es stimmt, dass ein Jahr im Leben eines Musikmagazins sieben im Rest der Welt sind, dann haben diese Hefte ihr biblisches Alter längst überschritten.

Alte Musikmagazine sind ein bisschen wie Abizeitungen. Sie halten Moden fest, von denen man kaum glaubt, dass sie mal in waren. Sie konservieren vergangene Jugendsprache und –kultur. Sie erinnern aber auch daran, dass die Zeit im Bereich der Popkultur schneller verrinnt als im normalen Leben. Kein Wunder, dass man sich so alt fühlt, wenn man in manchen „Backissues“ blättert. Es ist eine Zeitreise.

In den ersten Ausgaben des Musikexpress liest man von Beatmädchen, Hits heißen z.T. noch Schlager und Beatles-Gastmusiker Billy Preston geht als „Neger-Organist“ durch. Das mag lange her sein, doch selbst die Visions-Erstausgabe von 1990 kommt einem heute vor wie ein Fossil der Popkultur: ein schwarzweißes Heft mit Schreibmaschinen-Typo und Kopierladen-Heftung; auf dem Cover eine langhaarige Band in ernst gemeinter Sleaze-Rock-Pose.

Es ist nicht leicht, alt zu werden

200 Visions-Ausgaben in 20 Jahren

Gleich zwei Gründe zum Feiern hat das Musik-Magazin "Visions" in diesem Oktober: Zum 20-jährigen Bestehen des Szeneorgans für Anhänger von Independent- und Alternative-Rock erscheint auch dessen 200. Ausgabe. Gewürdigt werden diese beiden Ereignisse mit 14 Musik-Events, die vom 28. Oktober bis zum 1. November in Dortmund stattfinden.

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Es dauerte nur wenige Ausgaben, da war dieser Look passé. Im April 1992 sehen wir Chris Cornell und seinen Soundgarden auf dem Visions-Cover. Bye-bye, Macho-Rock – willkommen, Grunge. Man könnte diese Zeitraffer-Entwicklung an vielen weiteren Beispielen durchkonjugieren – am Wechsel der Stilrichtungen, Kleidung und Claims („Das Crossover-Magazin“, „Musik für die Neunziger“ u.s.w.). Es reicht wahrscheinlich, festzustellen, dass es nicht leicht ist, alt zu werden in einer Branche, die von ständigem Wandel und kurzen Aufmerksamkeitsspannen lebt. Insofern können Visions, Musikexpress & Co. stolz sein, solange durchgehalten zu haben.

Hinzu kommt ein neuerer Grund: das Internet. Dieser Konkurrent macht der Musikpresse mehr zu schaffen als alle Trendwechsel zuvor. Die Probleme liegen auf der Hand: Wie soll man als Monatspublikation bestehen gegen Instant-Nachrichten aus dem Netz? Was soll man einem Medium entgegensetzen, mit dessen Hilfe man Songs sofort hören kann, statt nur über sie zu lesen?

Mehr als Rezensions- und Empfehlungsplattformen für neue Bands

Fragen wie diese werden derzeit in sämtlichen Musikredaktionen diskutiert. Handlungsbedarf herrscht allemal. Die Auflagen der meisten Branchenmagazine rutschen seit Jahren den Hang runter, Last.fm, Myspace oder Facebook erweisen sich als harte Leserdiebe. Und doch muss die Zeit der gedruckten Musikmagazine nicht vorüber sein. Sie können und werden weiterleben. Vorausgesetzt, sie versuchen nicht, die Internet-Konkurrenz zu kopieren.

Musikmagazine müssen mehr sein als Rezensions- und Empfehlungsplattformen für neue Bands. Sie müssen größere Zusammenhänge deuten, Musik und andere gesellschaftliche Phänomenen verbinden, Meinungen äußern. Sie müssen analysieren statt (nur) präsentieren. Diese Tiefe wird keine Auflagenzahlen wie in den 80ern bringen. Aber sie wird diesen Heften Relevanz zurückgeben bei einer Zielgruppe, die zwischen gedruckter Jukebox und Musikjournalismus unterscheiden kann. Und das sind mehr Menschen, als man glaubt.