Essen. Feridun Zaimoglu macht aus dem Ruhrgebiet einen Roman. „Ruß“ schimpft auf die Neubauten im Duisburger Innenhafen – und hängt auch an der alten Welt aus Maloche und Briketts: Eine Geschichte um Liebe, Tod und Melancholie.

Es ist lange her, dass ein Buch über das Ruhrgebiet die Gemüter glühen ließ. Heinrich Böll zeichnete, im langen Vorwort zu Chargesheimers Fotoband „Im Ruhrgebiet“ ein Bild des „noch nicht entdeckten“ Reviers, das den Menschen hierzulande ja viel zu dreckig, zu kohlenstaubig schien: „Zwischen Dortmund und Duisburg ist Weiß nur ein Traum.“ Essens Oberbürgermeister Nieswandt protestierte: Die Darstellung stimme „noch nicht einmal mit der Realität der Gründerjahre“ überein.

In dieser Woche erscheint ein Roman, der eine ganz ähnliche Debatte über Schein und Sein befeuern könnte. Denn Feridun Zaimoglu setzt in „Ruß“ der Epoche der postindustriellen Revier-Verklärung ein postkartentaugliches Denkmal. Sein Roman changiert dabei zwischen raunender Geisterbeschwörung und totkomischer Krimigroteske.

Eine Bude am Ruhrorter Neumarkt. Renz, der Witwer, verkauft dort seinen Kumpels Kallu, Norbert und Hansgerd Filterkaffee und Lebensgeist. Denn: „Angeschissen sind wir alle.“ Kein Lichtblick, nirgends? Nicht in Zaimoglus Revier, das er so ganz aus der Perspektive seines Protagonisten betrachtet. Einmal geht Renz in die Kantine des Metzgers Peter, einen Ort allgemeiner Trostlosigkeit. Einer der Scheintoten sagt: „Wenn ich sterb, werd ich wissen, dass Duisburg vor mir verreckt is.“ Renz gibt ihm Recht. Denn das, was wir hier als neue Wahrzeichen feiern, ist in seinen Augen „unwürdiges Zeugs“. Die Neubauten am Innenhafen sind ihm „Kulissen aus Chrom und Glas, ein Paradies für junge Idioten“.

Spiegel für den Verlust

Das Ruhrgebiet dient Zaimoglu als Spiegel für jenen Verlust, den Renz erlitten hat. Der lange zurückliegende Mord an Renz’ Ehefrau Stella setzt den spannungshaltigen Rahmen: Als der mutmaßliche Mörder aus dem Gefängnis entlassen wird, bietet ein gewisser Heinrich sich Renz als Rächer an – wenn Renz seinen Bruder Josef aus dem Irrsinn und aus Polen heimholt. Renz reist nach Warschau, später nach Österreich. Schließlich war der Mörder dann doch nicht jener, der im Gefängnis gesessen hatte, ist am Ende aber trotzdem tot. Doch erklären die Bluttat und ihre Folgen nicht, wieso Renz so schräg ins Leben hinein gebaut ist.

Die Asche der Verstorbenen, die Renz sich zu Beginn auf der Zunge zergehen lässt, ist Sinnbild für den allgemeinen Ruß des Lebens. Zaimoglu bettet Renz in eine über-typische Revierkindheit ein. „Es begann mit ihm als Arbeiterkind im beigefarbenen Pullunder“, so geht es los und doch weiter aufs Gymnasium.

Klüngelskerl, Baggerloch und Kohle

Später geht Renz Medizin studieren und lernt Stella kennen, von der ihn erst ihr Tod scheidet. Obschon die Liebe längst „versiegt“ war, weil Stella ihrem „Trauerträumer“ die Melancholie nicht gönnte. Geisterstimmen trichtern ihm ja die alten Geschichten ein, von Klüngelskerl, Baggerloch und Milchsuppe: „Wir sind keine Butterlecker. Wir haben Kohle gefressen.“ Oder: „Nennt uns nicht olle Piefkes, Nennt uns nicht Taubenzüchter. Ruß wischen wir weg. Fein und sauber siehts in unsern guten Stuben aus.“ Poetisch ist das – und geradezu schmerzhaft gestrig. Jetzt werden sie wieder alle glauben, da draußen in der Republik: zwischen Dortmund und Duisburg ist Weiß doch nur ein Traum.

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Von DerWesten

Kann so ein Jenseitssüchtiger wie Renz überleben in der Welt? Sein Glück findet er bei der Kellnerin Marja, die ihm die Kleider ihres verstorbenen Vaters gibt. „Sie würden sich nicht leerträumen“, heißt es über dieses seltsame Paar: aufgerappelt aus Ruinen. Für diesen Hoffnungsschimmer im Kohlenstaub sind wir Zaimoglu zutiefst dankbar.