Essen. . Das moderne China und die Freiheit der Kunst – nun gibt es Texte zweier Künstler lesen, die das Ausmaß der Repression offenbaren: das Blog-Buch des Künstlers Ai Weiwei und der Gefängnisbericht des Autors Liao Yiwu.
„Es gibt nichts zu besprechen... Ich werde nicht kooperieren. Wenn ihr unbedingt kommen müsst, bringt eure Folterwerkzeuge mit.“ Nach diesem Eintrag vom 28. Mai 2009 wird das Blog des Künstlers Ai Weiwei gelöscht. Er gibt nicht auf – und twittert. Zuletzt schreibt am 3. April sein Assistent: „Vor drei Stunden wurde Ai Weiwei am Flughafen Peking festgenommen.“
Erfährt man im Blog-Buch etwas über Ai Weiwei, was noch nicht bekannt war? Eher nicht. Aber man erlebt, wie ein Künstler das Internet für sich entdeckt. Schrieb er erst über Architektur und Kunst, so wird die wilde Gedankenmischung später politischer, prangert Organhandel und Korruption an. Dann erschüttert im Mai 2008 das Erdbeben von Sichuan die Nation, tausende Kinder sterben. Ai Weiwei schreibt: „Die Öffentlichkeit weiß immer noch nicht, wie die Kinder heißen, ... wer es versäumt hat, die Schulen mit Stahl zu verstärken, wer ... minderwertigen Beton verwendet hat.“ Er stellt Listen der Toten ins Netz. Und wird von der Polizei verprügelt.
Lyrik als Aufschrei
Auf ähnlich brutale Weise rüttelt das Buch des Schriftstellers Liao Yiwu seine Leser wach. Er musste China verlassen, damit es nun auf Deutsch erscheinen konnte. Liao Yiwu erzählt – in einer unmittelbaren, ins Geschehen hineinziehenden Prosa – wie er nach dem 4. Juni 1989 ein Gedicht schrieb mit dem Titel „Massaker“. Wie er, der Vortragskünstler, ein Mastertape anfertigte und Kopien verteilte. Wie er verhaftet wurde.
Was folgt, ist eine vierjährige Reise in Gefängnisse und Arbeitslager, die ihn zunehmend radikalisiert. Die Machtkämpfe zwischen Wärtern und Häftlingen erlebt einer, der sich selbst einen „Wahnsinnigen“ nennt und der doch noch genug Verstand zu verlieren hat. In einem der „Liebeslieder aus dem Gulag“ heißt es: „Wegen eines einzigen Liedes/ befiehlt der Wärter mit dem Elektroknüppel/ ich soll hundert singen“.
Das wirklich Erschütternde ist dies: Ai Weiwei und Liao Yiwu lieben ja ihr Land.
Ai Weiwei: Macht euch keine Illusionen über mich. Der verbotene Blog. Galiani, 480 S., 19,99 €.
Liao Yiwu: Für ein Lied und hundert Lieder. Zeugenbericht aus chinesischen Gefängnissen. S. Fischer, 592 S., 24,95 €