Oberhausen. . “Der Idiot“ holterdipoltert in Oberhausen durch eine Vier-Stunden-Inszenierung. Im Zentrum stehen Leben, Leiden und Liebeswanken. Die Schauspieler müssen Chiffren sein. Das Stück teilt die Zuschauer vor allerhand Rätsel.

Was 2500 Jahre abendländischer Dramatik an Stücken hervorgebracht hat, scheint immer weniger zu genügen. So ist auch Dostojewskis Riesenroman „Der Idiot“ in den Fundus für theatrale Reizwäsche eingerückt: allen voran mit Frank Castorf an der Berliner Volksbühne, zuletzt dann in der Regie des Breitband-Stilisten Alvis Hermannis am Schauspielhaus Zürich.

Und nun holterdipoltert ein „Idiot“, den der ukrainische Regisseur Andriy Zholdak eingerichtet hat, im Theater Oberhausen nach St. Petersburg. Fürst Myschkin (trefflich zerwirrt: Michael Witte), der reine Tor, trifft im Zug auf den anarchistischen Playboy Rogoschin (Henry Meyer), eine fatale Begegnung.

Guckkasten für heraufdämmerndes Unheil

Aber erst einmal weidet man sich eine ganze Weile am erfrischend kon­ventionellen Bühnenbild: Eine gründerzeitliche Zweiraumwohnung als Guckkasten für heraufdämmerndes Unheil, links die großbürgerliche Kronleuchter-Variante, rechts fällt kaltes Neonlicht auf bröckelnden Putz. Für die nächsten vier Stunden sind dies allerdings die letzten Sicherheiten.

Was folgt, ist ein Dostojewski unter Strom. Im Zentrum stehen Leben, Leiden und Liebeswanken der strahlend schönen „Metze“ Nastassja Filippowna (ganz das verwöhnte Püppchen: Nora Buzalka) durch die Oberschicht. Im breitgewalzten Schnelldurchlauf der Handlung geht die minuziöse Psychologie des Romans um die unvermeidliche Niederlage des Guten verloren. Die Schauspieler müssen Chiffren auf zwei Beinen sein – wer Dostojewskis Versuchsanordnung rund um einen modernen Christus nicht kennt, wird aus dem Rätseln kaum herauskommen.

Zholdak, der in Oberhausen bereits Henry Millers „Sexus“ zelebriert hat, setzt auf ein Theater der Über-Stilisierung. Achtung!, sagt das gekünstelte Sprechen, zu hoch oder zu tief, und alles andere sagt auch: Achtung! Selbst die Tassen, die immerzu klirren und kreiseln und klappern, weil hier ja keiner mehr welche im Schrank hat.

Gesellschaft hypernervöser Egoisten

Heraus kommt ein unablässiges Hin und Her, wie es nur eine Gesellschaft von hypernervösen Egoisten hinbekommt. Das gesamte Bühnenpersonal befindet sich in einer stabilen Grundhysterie. Nur darin ist dieses Stück tatsächlich von heute. Die Musik dazu kommt vom Band, meist im Stil transbalkanischer Hochzeitspolkas, und ist immer zu laut, weshalb alles brüllt und schreit, aber eben nicht zum Wohle der Verständlichkeit.

So war Fürst Myschkins Ausruf „Wie kann ich ein Idiot sein, wenn ich weiß, dass mich alle dafür halten?“ vielleicht gar nicht der letzte luzide Satz des Abends, man weiß es nicht. Und bleibt sitzen auf seiner Augenlust, ohne so recht zu wissen wohin mit den vielen zartbitteren, nachhallend schönen Bildern dieser Inszenierung, die einer überragenden Lichtführung (Alexander Eck) entspringen.