Düsseldorf. Der Eurovision Song Contest aus Düsseldorf bot eine klasse Show und war auch musikalisch abwechslungsreich - bis auf das Siegerlied aus Aserbaidschan. Die größte Überraschung kam dabei aus Italien und heißt Raphael Gualazzi.

Und die europäische Schlagerkrone geht – o-oho - an ein schmachtendes Liebesduett von größtmöglicher Durchschnittlichkeit. „Running Scared“: Ein belangloses Standardprodukt aus dem Pop-Baukasten, das seinen Erfolg nicht zuletzt der schmachtfetzenden Darbietung von Ell & Nikki zu verdanken haben dürfte.

Davon einmal abgesehen und von den allzu krachbiederen Isländern nebst anderen Billigprodukten aus dem Harmoniesupermarkt, war es ein guter ESC-Jahrgang, besonders gesanglich - da hat man schon Eurovisions-Abende mit erheblich höherem Pein-Level erlebt.

Der beste Song des Abends

Und der zweite Platz für den Italiener Raphael Gualazzi mit seinem „Madness of Love“ ging immerhin an den besten Song des Abends (was wäre das erst, wenn Paolo Conte ihn tief versoffener Stimme, so richtig cool in den Keller jazzt!). Lena, die von der netten Abiturientin auf Vamp umgesattelt hat, überragte mit ihrem perfekt performten Dauer-Intro „Taken By A Stranger“ immerhin als eigenwilliges Format die 08/15-Liga, der zehnte Platz ging ganz in Ordnung.

Selbstverständlich waren auch diesmal postsozialistische Bruderpunkte und sonstige Nachbarschaftshandreichungen im Spiel. Dafür war die Show aus der Düsseldorfer Arena war so gigantoman wie perfekt, Anke Engelke überstrahlte zum Glück mit einer Extraportion Naturcharme den eitlen Gockel Raab. Man sah etliche zu kurz geratene Mini-Kleider an diesem Abend, man sah Frauen, denen ihre Absätze eine Mordic Walking-Einlage bescherten.

Gildo Horn und Verdi

Aber was wäre der Song Contest ohne all das, ohne solche wunderbaren Bizarrerien wie Moldau-Kapelle, diese abgefahrenen Gildo Horns vom Hinterbalkan? So einen zweieinhalb Meter hohen Spitzhut aus Persianerfell will ich auch - mal sehen, was die Kollegen in der Redaktion sagen (ich setz ihn aber nur auf, wenn die einradfahrende Fee auch mitkommt).

Oder der wie vom Mars gefallene Franzosen-Tenor Amaury Vassili mit seinem Verdi-Melodram für Arme auf Korsisch! Viel mutiger war Napoleon auch nicht… Und die richtig gut singende Österreicherin Nadine Beiler („The Secret Is Love“) hat sich wahrscheinlich mit ihrem Mireille Mathieu-Gedächtnisschnitt alles verdorben.

„Ein bisschen Frieden“ auf Finnisch

Zur Song-Contest-Folklore gehört natürlich auch so einer wie dieser Paradise Oskar aus Finnland, der eine richtiggehende Schnulze über Planetenrettung, kleine Jungs und allgemeines Herzerweichen singt - als Rache für die gescheiterte Klimakonferenz in Kopenhagen. Man könnte auch sagen: So klingt „Ein bisschen Frieden“ auf Finnisch, selbst wenn man Englisch singt.

Einen großen Block machte diesmal die Retro-Fraktion aus, allen voran die serbische Nina mit ihrem Soul-Ausflug in die 60er, der schon wegen der skurrilen Versuche in Erinnerung bleiben wird, Fliegenverscheuch- und Frierbewegungen zu einem Tanzstil zu verbinden. Andere Kandidaten klangen allerdings wie vom Pet Shop Boys-Ähnlichkeitswettbewerb entlaufen, allen voran die durchgedrehten „Jedward“-Zwillinge aus Irland mit ihrer großartigen „Lipstick“- Show – die Nummer wird uns demnächst unter Garantie in den Zappelbuden dieser Welt mit um die Ohren gehauen. Erik Saade aus Schweden gehört auch in diese Kategorie, zu dem entsetzlich aufdringlichen „I will be Popular“ gab’s immerhin eine der besten Choreografien.

Überflüssiges Eigenlob der ARD

Mit dem russischen Alexej Vorobjow war dann immerhin Take-That-Format erreicht, auch die britische „Blue“-Männergruppe schlug sich tapfer mit „I can“, zwischendurch trug die Elektro-Drehorgel mal ein bisschen dick auf, aber auch diese Nummer dürfte demnächst noch durch so manches Radioprogramm schallern.

Überflüssig an diesem Abend war das langweilige Umbau-Video, waren die unverlangt eingeblendeten „Postkarten“ aus irgendwo in Deutschland und die ständig hin und her gewedelten Nationalfahnen vor der Kamera. Und das penetrante Eigenlob der ARD und ihrer Angestellten, das die tatsächlich gute Leistung kleiner machte als sie war.

Als Stefan Raab am Anfang den mehr oder minder geneigten, aber noch sehr gespannten Millionen an den Bildschirmen „Satelite“ als Rockabilly-Swing darbot, zeigte sich, wie charakterschwach, beliebig und durchschnittlich dieser Song war. Gewonnen hat eben auch im letzten Jahr nicht der beste Song. Sondern der Charme von Fräulein Meyer-Landrut.