Düsseldorf. .
Sein fotografischer Blick reicht vom Bayerischen Wald bis nach Cape Canaveral: Mit einer großen Retrospektive würdigt die Düsseldorfer Kunstsammlung NRW nun das Werk des Fotografie-Stars Thomas Struth.
Für einen, der nicht nur zu den prominenten Aushängeschildern der „Düsseldorfer Schule“ zählt, sondern zur Crème der zeitgenössischen deutschen Fotografie gehört, hat es lange gedauert bis zu diesem Heimspiel. Aber nun hat die Kunstsammlung NRW Thomas Struth, dem 1954 in Geldern geborenen, mit der Düsseldorfer Becher-Klasse berühmt gewordenen, zuletzt mit seinem Selbstporträt nebst Dürer für 500 000 Euro in die Auktions-Annalen eingegangenen Foto-Klassizisten die große Bühne bereitet. Zu sehen sind rund 100 Struth-Aufnahmen, diese gestochen-scharfen, blendend-brillanten XXL-Bilder voller inhaltsschwerer Leere, atmosphärischem Licht und geheimnisvoller Technik.
Struth, bei dem mancher im Vergleich zu seinen weltberühmten Kollegen wie Andreas Gursky und Candida Höfer vielleicht die eine vermarktbare „Marke“ vermisst, prägt sich hier mit vier Werkgruppen ein. Mit den berühmten „Museum Photographs“, die ihn bis ins New Yorker MoMA führten, der jüngeren Serie von Technikbildern, den Familienporträts und den wuchernden „Paradies“-Bildern aus Brasiliens Dschungel und Bayerischem Wald, die Struth neben seine frühen Düsseldorf-Aufnahmen gehängt hat.
Mit diesen menschenleeren, Schwarz-Weiß-Straßenpanoramen, von denen viele bislang noch nie gezeigt wurden, hat Struth Ende der 70er-Jahre seine Heimatstadt neu vermessen. Sie dokumentieren die Auseinandersetzung mit der deutschen Nachkriegsarchitektur und die Begeisterung für die intellektuelle Arbeit der Minimal-Art. „Wir waren fasziniert von SolLeWitt, Carl Andre, das war sicher der Nährboden“, sagt Struth. Aber da war „zu wenig Fleisch, zu wenig Lust drin. Wir mussten das Figurative zurückholen“.
So hat Struth, der an der Düsseldorfer Akademie bei Gerhard Richter Malerei studierte, bevor er in die Becher-Klasse wechselte, die Weiterführung der Malerei mit anderen Mitteln betrieben. Nicht von ungefähr können wir in den menschenleeren New Yorker Straßenschluchten Mondriansche Rasterstrukturen finden, spiegeln die gigantischen Hochhausschachteln in Seoul die Gesellschaftskritik eines George Grosz.
Kultur-Statisten im eigenen Lebens-Gemälde
Und schließlich hat Struth die Kunstgeschichte ganz zentral positioniert, in seinen Museumsbildern aus Prado und Pergamon, diesen atmosphärisch dichten, wie mit musealem Flüsterton unterlegten Historienfotografien, in denen der Besucher selber zum Bild wird. Da stehen sie dann, mit aufgesperrten Mündern und ungelenken Gesten. Kultur-Statisten in ihrem eigenen Lebensgemälde.
Struth, dieser sympathisch unprätentiöse Blickefänger, steckt für seine Gemälde-Bilder den technischen Rahmen ab und sagt „macht Mal“. Und „meistens zeigen die Leute sich“. Wie in den Familienporträts, diesen kaffeetafelgroßen Bilderalben in Cinemascope. Wer vor ihnen steht, sucht in den Gesichtern nach Irritationsmomenten, unausgesprochenen Geheimnissen. Sucht die Geschichte hinter dem Sujet und ist Struths Monumentalpsychologie damit schon gefolgt.
Dass dieser famose Wahrnehmungs-Vertiefer, der schon global fotografiert hat, als noch nicht alle Welt davon sprach, humanistische Erkenntnis mit Präzision und Perfektion verbindet, sieht man in jedem Bild. Selbst in den menschenleeren. Der fotografierte Fortschrittsglaube, der sich in Koreas Samsung Apartments widerspiegelt, bohrt sich ins Gedächtnis wie die Tristesse glatter Düsseldorfer Mietshausfronten, an denen der Blick abgleitet.
Bilder der Gesellschaft
Mensch und Umfeld, das Ich und die Gesellschaft, das sind die Themen, die Struth seit Jahrzehnten bearbeitet. Das Zukunftsthema seiner Fotografie hat er gerade in den Laboren der Hochtechnologie-Zentren von Kennedy Space Center und Max Planck Institut gefunden. Eine hochkomplexe Gesellschaftfotografie, auch wenn Struth davon gar nicht viel wissen will: „Ich gehe viel intuitiver vor, als man sich das vorstellt.“
- Thomas Struth - Fotografien 1978 - 2010, Eröffnung 25. Februar, 19 Uhr. Bis 19. Juni im K20, Grabbeplatz. Katalog: 29,80 Euro. Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 10 -18 Uhr, Samstag und Sonntag 11 -18 Uhr, Eintritt: zehn, ermäßigt fünf Euro. Öffentliche Führungen: sonntags 15 Uhr, donnerstags 16.30 Uhr, Kinderführungen sonntags 15 Uhr. Am Freitag, 25. Februar, 16 Uhr, gibt’s eine Extra-Preview für Jugendliche.